Manuskript I.33
Das I.33 Manuskript, Inventarnummer; Tower of London manuscript I.33, Royal library Museum, British Museum No. 14 E iii, No. 20, D. vi. (auch als "Tower-Fechtbuch" bekannt), ist das älteste bekannte Fechtbuch des Spätmittelalters. Es wird von den meisten Fachleuten um das Jahr 1300 datiert und enthält Abbildungen samt schriftlicher Erklärungen, die sich ausschließlich mit dem Schwert-und-Buckler-Fechten beschäftigen. Die Urheberschaft der Schrift wird allgemein einem deutschen Kleriker zugeschrieben, dessen Name als "Liutger" vermutet wird.[1] Heinrich von Gunterrodt erwähnt das Manuskript zum ersten Mal im Jahr 1579.[2] Aufgrund der sprachlichen Besonderheiten wird vermutet, dass das I.33 Manuskript im Raum Würzburg entstand.
Beschreibung und Inhalt
Das Manuskript besteht insgesamt aus 32 beidseitig beschriebenen Pergamentblättern mit farbigen Tuschezeichnungen. Die Illustrationen zeigen zwei ungepanzerte Kämpfer, welche Kampftechniken vorführen und welche vom (überwiegend lateinischen) Text erklärt werden. Man geht allgemein davon aus dass der als sacerdos (also Geistlicher) mit Mönchs-Tonsur dargestellte Kämpfer den Urheber der Schrift darstellt. Der andere Kämpfer, als scolaris bezeichnet, ist offenbar der Kunde/Schüler (auch discipulus, iuvenis, clientulum), der vom Kleriker unterrichtet wird. Das kann man auch daran erkennen, dass der Kleriker auf den Abbildungen vermutlich aus pädagogisch-didaktischen Gründen oft den Kampf "verliert".
Die Bedeutung der in I.33 illustrierten Techniken ist umstritten. Viele Fachleute neigen zu der Ansicht, dass die dargestellte Fechtkunst eine nicht mehr militärisch sinnvolle ritterlich-bürgerliche Ertüchtigung ist. Praktische Fechter verweisen jedoch darauf, dass viele Techniken - wie etwa der im 13. Jahrhundert bereits im Ritterturnierkampf verbotene Stich - potentiell letal und somit eher für den Kampf auf Leben und Tod gedacht sind.[3] Auch erlaubt das Fechtsystem schnelle Gegenattacken, was den Gedanken zulässt, dass es sich nicht nur um einen "Sport", sondern ein effektives Selbstverteidigungssystem handelt. In anderen Manuskripten aus dem 13. und 14. Jahrhundert finden sich zudem Illustrationen, auf denen die Krieger (gepanzert und ungepanzert) ebenfalls Buckler tragen.[4]
Fechtstil nach I.33
Das Fechtsystem des I.33 besteht im Wesentlichen aus den sieben festgelegten "Huten" (custodia), den Versatzungen (obsessiones) und Angriffen (invasiones). Daneben können viele Hute oder Versatzungen auch als Angriff genutzt werden. Die sieben Hute unterteilen sich wie folgt:
- Sub brach; "unterm Arm", die 1 Hut
- Humero dextrali; "rechte Schulter", die 2 Hut
- Humero sinistro; "linke Schulter", die 3 Hut
- Capiti; "Haupt", die 4 Hut
- Dextro latere; "rechte Seite", die 5 Hut
- Pectori; "Brust", die 6 Hut
- Langort; "gestreckte Spitze", die 7 Hut
Daneben gibt es noch gewöhnliche Hute, die aber nur nebenbei erwähnt werden: Der vidilpoge (nhd. Fiedelbogen) und der "Spezial-Langort".
Die nächste Gruppe von Techniken, die Versatzungen, werden laut Text als Gegenpositionen zu den Huten verstanden, die man angreifen oder abwehren möchte:
- Halpschilt; "Halbschild"
- Krucke; "Krücke"
- Langort; fungiert sowohl als Hut als auch Versatz
- Schutzen; "Schützen"
- Valde bona; abgewandete 5 Hut
- Valde aliena; abgewandelter "Fiedelbogen"
- Walpurgis
Der Gegner kann z.B. durch das Anwenden der folgenden Angriffe besiegt oder zum Aufgeben gezwungen werden:
- Schiltschlac; "Schildschlag"
- Nucken
- Stichschlach; "Stechen"
- Ringen (Nahkampf)
Ablauf des Kampfes
Das primäre Ziel des Kämpfers ist, den Gegner zu entwaffnen oder zu töten oder ihn zur Aufgabe zu zwingen. Je nachdem, welche Hut der Gegner angenommen hat, wird entweder gebunden (die Klinge des Gegners mit der eigenen blockiert) oder versetzt (die Klinge des Gegners wird durch eine Versatzung oder eine Hut abgelenkt). Nach einer erfolgreichen Bindung kann der Kämpfer einen der Angriffe (invasiones) anwenden. Beim Versetzen der feindlichen Klinge wird empfohlen, entweder zu binden oder einen Hieb oder Stich anzuwenden. Bsp: Wenn der Gegner im "Langort" steht, kann der Kämpfer voranschreiten, die Klinge mit "Schützen" versetzen und danach einen Stich ausführen.
Eine Besonderheit des I.33 - Kampfsystems ist das Fehlen des klassischen Parierens an sich. Die Klinge wird entweder mit der flachen Seite "versetzt" oder "gebunden". Harte Schläge mit dem Schwert auf die Waffen des Gegners sind so gut wie nicht vorhanden.
Die ungefähre Datierung des Manuskriptes und die Abbildungen selbst erlauben auch Rückschlüsse über die verwendeten Waffen. Zwischen 1270 und 1340 kann eine gewisse Popularität des Typs XIV nach der Oakeshott-Klassifikation belegt werden, was sich durch zahlreiche Abbildungen und anderweitige künstlerische Darstellungen äußert (siehe: Ewart Oakeshott; The Sword in the Age of Chivalry). Ein solches Schwert besitzt in der Regel eine Klingenlänge um 70cm, ein Gewicht von ca. 1,1 - 1,2kg und den Balancepunkt zwischen 9 und 11cm. Laut modernen Praktikern ist so eine Waffe sehr schnell und präzise zu führen ohne signifikante Einbußen der Hiebeigenschaften bei gleichzeitig ausgeprägter Stichlastigkeit. Das Fechten mit Schwert und Faustschild dürfte hiermit ähnlich hochentwickelt und raffiniert gewesen sein wie die heute existierenden asiatischen Kampfkünste. Da die Abbildungen des I.33 eine Schwertwaffe mit gerader Parierstange zeigen, die vom Klingentyp her irgendwo zwischen Typ XII und XIV angesiedelt ist, kann man allgemein davon ausgehen dass die beiden o.g. Typen gleichermaßen fürs Fechten verwendet wurden wenn sie für diesen Zweck die passenden physischen Charakteristika aufwiesen.
Historische Bedeutung
Das Manuskript I.33 ist eine bisher einzigartige Quelle der mittelalterlichen Kampfkultur und Kampfkunst, denn es steht in keinem direkten Zusammenhang mit der deutschen oder italienischen Schwertfechtschule. Dennoch lassen sich viele kampftechnische Parallelen zu der Fechtlehre Johann Liechtenauers erkennen, obwohl dieser erst ein halbes Jahrhundert später lebte und wirkte. Viele Fechtmeister des 15. Jahrhunderts verwendeten ebenfalls Schwert und Buckler, jedoch in einer der Liechtenauer-Nomenklatur angepassten Form.
Das Schwert-und-Buckler-Fechten darf nicht mit dem Schildkampf der früheren Zeiten gleichgesetzt werden, wie zum Beispiel der Kampfesweise des Frühmittelalters. Obwohl das Fechten mit dem Fausschild bereits im Hochmittelalter nachweisbar ist, ist der Kampf mit dem großen Rundschild (der vor allem mit den Wikingern assoziiert wird) ein deutlich anderer mit anderen Techniken. Außerdem wurde der Buckler in jener Zeit populär, als das Schild als Schutzwerkzeug aufgrund der aufkommenden Plattenrüstungen zunehmend in den Hintergrund rückte. Einer der deutlichsten Unterschiede zwischen Rundschild und Buckler: Der Buckler dient nicht der direkten Abwehr der gegnerischen Angriffe, sondern schützt die Schwerthand. Gefochten wird hier fast ausschließlich mit der Schwertklinge.
Das I.33 widerlegt außerdem das lang währende Vorurteil, welches besagt, dass die hoch- und spätmittelaterlichen Kämpfer ohne jegliches System gekämpft haben sollen. In Betrachtung der Quellen des 14. Jahrhunderts (z.B.: I.33 und Hanko Doebringers Fechtbuch aus dem Jahr 1389) ist die These der chaotischen Kampfesweise der europäischen Ritter und der "Erfindung" des kunstvollen Fechtens erst im Zusammenhang mit dem Rapier nicht mehr haltbar.
Siehe auch
wikipedia:de:Portal:Waffen – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Waffen
- Schwertkampf
- Historische Kampfkünste aus Europa
- Breitschwert
Einzelnachweise
Literatur
- Jeffrey L. Forgeng: The Medieval Art of Swordmanship, Chivalry Bookshelf ISBN 1-891448-38-2
- Ewart Oakeshott: The Sword in the Age of Chivalry Boydell Press, 1964. ISBN 0-85115-715-7
Weblinks

Quellenhinweis
Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag „Manuskript_I.33“ aus der freien Enzyklopädie Wikipedia in der Version vom 08. August 2010 (Permanentlink: [1]). Der Originaltext steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation bzw. unter CC-by-sa 3.0 oder einer adäquaten neueren Lizenz. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Autoren verfügbar.