De-facto-Regime
Als De-facto-Regime wird in den Rechts- und Politikwissenschaften ein Herrschaftsverband bezeichnet, der durch die faktische und dauerhafte hoheitsförmige Gewalt einer aufständischen Gruppe oder Partei einen Grad an Stabilität erreicht hat, der dem eines international anerkannten Staates gleich kommt, dem eine solche Anerkennung jedoch (weitgehend) verweigert wird. Die Merkmale eines Staates sind nach der Drei-Elemente-Lehre Georg Jellineks das Staatsgebiet, das Staatsvolk und die Staatsgewalt. Die Anerkennung, die teilweise als viertes Element aufgeführt wird, hat nach herrschender Meinung keine konstituierende, sondern nur deklaratorische Wirkung. Hierbei erweitert Artikel 1 der Konvention von Montevideo von 1933 die Voraussetzung um eine vierte: die Fähigkeit, Beziehungen mit anderen Staaten aufzunehmen. Ohne die drei (bzw. vier) Staatselemente kann ein Staat mangels Staatsqualität nicht existieren; umgekehrt kann ein Staat trotz seiner faktischen Existenz von anderen Staaten nicht anerkannt werden – dies schadet indes nicht seiner Staatsqualität.
Verschiedentlich wird angeführt, eine Anerkennung eines stabilisierten De-facto-Regimes bedeute eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten des Staates, auf dessen bisher anerkanntem Gebiet sich das De-facto-Regime befindet. Dagegen wird eingewandt, dass sich das Staatswesen dieses Staates gar nicht mehr auf das Gebiet des anzuerkennenden Staates erstrecke.
Die Anerkennung eines De-facto-Regimes de jure ist keine Voraussetzung für seine Staatlichkeit, sondern eine einseitige völkerrechtliche Willenserklärung des anerkennenden Staates gegenüber dem anzuerkennenden Staat, fortan mit ihm normale diplomatische Beziehungen zu pflegen.[1] Das Fehlen der Anerkennung berührt folglich dessen völkerrechtlichen Status als Staat nicht, sondern bedeutet allein eine faktische Einschränkung seiner außenpolitischen Handlungsspielräume.
Gründe für die Nichtanerkennung sind zumeist politischer oder wirtschaftlicher Natur. So führt die weltweit überwiegend akzeptierte Ein-China-Politik der Volksrepublik China dazu, dass der Republik China die Anerkennung seit 1972 entzogen wurde, obwohl diese de facto weitgehend zweifelsfrei einen eigenständigen Staat darstellt. Der Status Taiwans ist bis heute ungeklärt und spiegelt sich im Taiwan-Konflikt wider.
Beispiele
Folgende Herrschaftsverbände werden verschiedentlich als Beispiele für De-facto-Regime genannt:
- Abchasien wird von den Vereinten Nationen als Teil Georgiens betrachtet und nur von Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru und Tuvalu als unabhängig anerkannt.
- Kosovo wird mittlerweile von Vorlage:Internationale Anerkennung des Kosovo Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen offiziell anerkannt, nicht aber vom bisherigen Mutterland Serbien.[2] Die Vereinten Nationen betrachten das Kosovo weiterhin als Teil Serbiens, der Internationale Gerichtshof (IGH) gelangte zu dem Ergebnis, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht gegen das Völkerrecht verstoßen habe. Gleichzeitig vermied der IGH, dessen völkerrechtlichen Status zu bewerten.
- Die Türkische Republik Nordzypern wird von den Vereinten Nationen als Teil der Republik Zypern betrachtet und nur von der Türkei als unabhängig anerkannt.
- Transnistrien erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von Moldawien, die von keinem Staat anerkannt wird, auch wenn Russland das Regime unterstützt.
- Somaliland spaltete sich 1991 faktisch von Somalia ab, als es nach dem Sturz von Siad Barre praktisch keine somalische Zentralregierung mehr gab (→ failed state). 1998 erklärte sich das östlich an Somaliland angrenzende Puntland ebenfalls für unabhängig von Somalia. Beide De-facto-Staaten streiten untereinander über den Grenzverlauf.
- Berg-Karabach, das unter anderem vom UN-Sicherheitsrat und Europarat weiterhin als Bestandteil Aserbaidschans betrachtet wird.
Literatur
- Jochen Abraham Frowein: Das de-facto-Regime im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Rechtsstellung „nichtanerkannter Staaten“ und ähnlicher Gebilde. Carl Heymanns, Köln 1968.
- Noelle Quénivet: Konstituierung staatsähnlicher Gebilde? Fallbeispiele aus der ehemaligen Sowjetunion. In: Volker Epping, Hans-Joachim Heintze (Hrsg.): Wiederherstellung staatlicher Strukturen in Nach-Konflikt-Situationen. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-8305-1195-3, S. 139–169.
- Michael Schoiswohl: Status and (Human Rights) Obligations of Non-Recognized De Facto Regimes in International Law. The Case of „Somaliland“. Martinus Nijhoff, Leiden 2004, ISBN 90-04-13655-X.
Siehe auch
- Konvention von Montevideo
- Liste der von den Vereinten Nationen nicht als selbstständige Staaten anerkannten Gebiete
- Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten
Einzelnachweise
- ↑ Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht. Begründet von Otto Kimminich, 9., aktual. u. erw. Aufl., Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8304-4 (Otto Kimminich: Einführung in das Völkerrecht, Band 469, in: UTB für Wissenschaft, UTB, 1993, ISBN 3-8252-0469-3), S. 72 ff.
- ↑ Vgl. Liste der UN-Mitglieder, die Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen.
Quellenhinweis
Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag „De-facto-Regime“ aus der freien Enzyklopädie Wikipedia in der Version vom 26. Mai 2010 (Permanentlink: [1]). Der Originaltext steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation bzw. unter CC-by-sa 3.0 oder einer adäquaten neueren Lizenz. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Autoren verfügbar.