Babylonische Felle
Babylonische Felle (Pluralausdruck; auch Baͤlge von Babylon genannt; lateinisch beneventanum; französisch tapis de Babylone und anderes mehr)[1][2][3] war eine vage, historische, nicht einheitlich verwendete Sammelbezeichnung, unter der
- in einem allgemeinen Sinn Pelze
- in einem engeren Sinn (in der Warenkunde)[4] Hermelinfelle
zusammengefasst wurden, deren Herkunft man in Babylon beziehungsweise in Babylonien oder angrenzenden Pelzkulturgebieten verortete (‚die Pelze/Felle/Hermelinfelle aus Babylon/Babylonien‘).
Fragwürdige Heraldisierung
An und für sich hat der Ausdruck Babylonische Felle nichts mit Blasonierungen von Wappen zu tun. Die irreführende Zuordnung zur heraldischen Terminologie, die bis heute in allgemeinen Nachschlagewerken wie Erdmanns Gedrängtes Handbuch der Fremdwörter (1852)[5], Herders Conversations-Lexikon (1854)[6], Pierer’s Universal-Lexikon (1857)[7], Jacobis Universal-Lexikon (1874)[8], der Wikipedia (2021/2024)[9] und so weiter zu finden ist, geht auf das Werk Amoenitates Historico-Iuridicae (‚Historisch-juristische Besonderheiten‘) von Wilhelm Friedrich (von) Pistorius (1702-1740) zurück.
Fragwürdige Annahmen von Wilhelm Friedrich (von) Pistorius
Pistorius „findet“ (bzw. ‚erfindet‘) in seinem Werk in einem Kapitel über Wappenröcke, „dass Hermelins-Felle ehedessen Babylonische Felle genennet werden, weil sie in dieser Haupt-Stadt Aßiriens, welche gleich bey Armenien gelegen war, hauptsächlich verkauft worden sind“; zur Stützung seiner „Findung“ zieht er unkritisch mehrere unheraldische und unwissenschaftliche Quellen und Autoren wie den Juris Consultus (‚Rechtsgelehrten‘) Martianus, die Episteln von S. Hieronymus, ein Griechisch-Lateinisches Glossar, eine Historie von Bertrand du Guesclin sowie einen unbekannten „griechischen Autor“ heran.[2][3] Im Registerband zu seinem Werk fasst Pistorius seine Annahmen über die Babylonischen Felle auf die knappe Formel zusammen:
„Babylonische Felle so viel als Hermelin“
(Register zu Amoenitates Historico-Iuridicae)[10]
Fragwürdige Annahmen von Johann Andreas Stiehl
Der „Zopfheraldiker“ Johann Andreas Stiehl (1715-1779) nimmt 1757 den Ausdruck „Babylonische Felle“ in der Bedeutung = Hermelin
in seinen „Versuch einer wissenschaftlichen Wappenkunde“ auf, wobei er ausdrücklich auf Pistorius als Urheber dieser Bestimmung verweist.[11] Wie bei Pistorius fehlen auch bei Stiehl gesicherte heraldische Nachweise für die Verwendung des spezifischen Ausdrucks „Babylonische Felle“ bei historischen Wappenbeschreibungen.
Weitere Irreführungen durch Otto Spamer und die Wikipedia
Otto Spamer behauptet 1872 irreführend, dass Babylonische Felle „in der Heraldik so viel wie Hammelfelle“ (?) sind.[12] Mutmußlich ist seine Behauptung ein Tipp- oder Transkriptionsfehler als er das Schlagwort aus einer älteren Quelle in sein Illustrirtes Konversations-Lexikon übernahm (gemeint ist sicher „Hermelinfelle“). Die Autoren der deutschsprachigen Wikipedia verstärken 2021/2024 die Verwirrung weiter, da sie unter Bezugnahme auf Otto Spamer eine Umwandlung von „Hammelfellen“ in „Schafsfelle“ vornehmen.[9] Wie bei allen zuvor genannten Quellen fehlen auch bei Spamer und in der Wikipedia gesicherte heraldische Nachweise für die Verwendung des spezifischen Ausdrucks „Babylonische Felle“ bei historischen Wappenbeschreibungen.
Einzelnachweise
- ↑ M. Pierre Chompré: Vocabulaire universel latin-françois. Contenant les mots de la latinité des différens siècles, à l'exception de ceux qui sont analogues à la langue françoise : avec un vocabulaire françois-latin des mots qui sont le plus d'usage dans la langue latine. Paris 1754, S. 87 (französisch, Google [abgerufen am 8. Januar 2024]).
- ↑ 2,0 2,1 Wilhelm Friedrich Pistorius: Amoenitates Historico-Iuridicae, Oder allerhand die Historien des Teutschen Reichs. sowol als die in selbigem üblichen Civil- Staats- und Lehen-Rechte, Gewohnheiten und Alterthümer erklärende Dissertationes, Observationes, Consilia und Opuscula, etc. so theils von andern verfertiget, aber bißhero noch nie gedruckt, theils erst absonderlich ausgearbeitet worden. 1. Auflage. Erster Theil. Frankfurt und Leipzig 1731, Dissertatio I. – Von denen ehemaligen Waffen-Röcken, wie auch vom Ursprung derer Farben und Metalle in der Wappen-Kunst, S. 15 (Google [abgerufen am 8. Januar 2024]).
- ↑ 3,0 3,1 Wilhelm Friedrich von Pistorius: Amoenitates Historico-Iuridicae, Oder allerhand die Historien des Teutschen Reichs. sowol als die in selbigem üblichen Civil- Staats- und Lehen-Rechte, Gewohnheiten und Alterthümer erklärende Dissertationes, Observationes, Consilia und Opuscula, etc. so theils von andern verfertiget, aber bißhero noch nie gedruckt, theils erst absonderlich ausgearbeitet worden. 2. Auflage. Erster Theil. Frankfurt und Leipzig 1753, S. 15 (Google [abgerufen am 8. Januar 2024]).
- ↑ Hermann Julius Meyer: Das grosse Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände: Vierter Band. Zweite Abtheilung. Amsterdam, Paris und Philadelphia, 1844. S. 1061. („Astronomische Beobachtungen - Baden“; Google;
„Babylonische Felle (Waarenk.), s(ind) v(or) a(llem) Hermelinfelle.“) - ↑ Friedrich Erdmann Petri: Gedrängtes Handbuch der Fremdwörter. 10. Auflage. Leipzig, Arnoldsche Buchhandlung, 1852. Google (Unveränderter Nachdruck der Originalausgabe von 1852. 1. Auflage. Frankfurt, 2023. ISBN 9783382058678. S. 100. Google;
„babylonische Felle, in der Wappenkunde Hermelinfelle“) - ↑ Herders Conversations-Lexikon. Band 1, Freiburg im Breisgau 1854, S. 366. (Permalink:
„Babylonische Felle, in der Heraldik so viel als Hermelinfelle.“ - ↑ Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. Band 2, H. A. Pierer, 1857, S. 121. (Permalink:
„Babylonische Felle (Herald.), so v.w. Hermelinfelle.“) - ↑ Heinrich Jacobi: Universal-Lexicon: Ein Nachschlagebuch für Jedermann. Wien, 1874. S. 65. (Google;
„babylonische Felle, in der Wappenkunde Hermelinfelle.“) - ↑ 9,0 9,1 Seite „Babylonische Felle“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. Dezember 2021, 09:04 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Babylonische_Felle&oldid=217938385 (Abgerufen: 9. Januar 2024, 14:03 UTC:
„Babylonische Felle werden in der Heraldik die Felle des Hermelins genannt. Nach anderen Quellen[1] steht die Bezeichnung für Schafsfelle (..)“) - ↑ Wilhelm Friedrich von Pistorius: Vollständiges zweyfaches Register über die sämtlichen ach Theile. Davon das erstediue darin enthaltenen Sachen und Materien, das andere die nomina propria oder Namen der Nationen, Personen, Länder, Städte et cetera welche, nebst einer Beschreibung und Erzählung davon, vorkommen, anzeiget. Frankfurt und Leipzig 1731, S. 88 (Google [abgerufen am 8. Januar 2024] Register zu Amoenitates Historico-Iuridicae, Oder allerhand die Historien des Teutschen Reichs).
- ↑ Johann Andreas Stiehl: Versuch einer Wissenschaftlichen Wapenkunde Wie auch eines Wapenkundlichen Wörterbuches im Auszuge für die Jugend. Frankfurt am Main 1757 (Google [abgerufen am 8. Januar 2024]): „Babylonische Felle; Hermelin, sieh Pistor.“
- ↑ Franz Otto Spamer: Illustrirtes Konversations-Lexikon: vergleichendes Nachschlagebuch für den täglichen Gebrauch. Band 2. Buchstabe "B". Otto Spamer, Leipzig und Berlin 1872. Spalte 21. (Google;
„babylonische Felle, in der Heraldik so viel wie Hammelfelle, s. »Heraldik«.“)