Bezwillingt
Der heute veraltete Ausdruck bezwillingt (auch gezwillingt genannt; französisch inmellé bzw. jumellé) ist in der Heraldik etwa seit dem 17. Jahrhundert manchmal im Zusammenhang mit zwei gleich tingierten und gleichgeformten, eher „schmalen“ Heroldsbildern gebräuchlich, die mit einem geringen, konstanten Zwischenabstand zueinander gerückt sind, in einer „Schildebene“ nebeneinander verlaufen und einander nicht schneiden.
Wortgeschichte
Kühnen nennt 1694 folgendes Heroldsbild „Zwey bezwillingte Wellen“ | |
Stammwappens der Caetani | |
(2008: Neuerer Aufriss) | |
(2023: Neuerer Aufriss) |
Die Ausdrücke bezwillingt und gezwillingt werden beispielsweise verwendet, als der Drucker und Verleger Georg Wilhelm Kühn(en) 1694 das französischsprachige Werk La Nouvelle méthode raisonnée du blason von Claude-François Ménestrier dem deutschsprachigen Publikum bekannt macht:
„Inmellé, bezwillingt.
Sagt man von dem Zwer-Creutz oder Sparren / von Doppel- oder Zwilling-Streiffen.“
(übersetzt von Wilhelm Kühnen, 1694)[1]
Als Referenz für den heraldischen Terminus dient das Stammwappen der Familie Caetani/Gaetani, welches auch von Benedetto Caetani alias Papst Bonifatius VIII. geführt wurde:
„Jumellé, bezwillingt.
Gaetam, daher der Pabst Bonifacius IIX. war / fuͤhrt Silber mit zwey bezwillingten Wellen / oder mit einem gefluteten blauen rechten Zwilling Binden. Es hat Bande/Balcken/Schreg Creutz und Sparren so gezwillingt heissen.“
(übersetzt von Wilhelm Kühnen, 1694)[1]
Abgesehen davon, dass in der Literatur als Schildfarbe für das Caetani-Wappen gemeinhin nicht „Silber“, sondern „Gold“ angegeben wird, sind Kühnens Termini „bezwilligte Wellen“ und „geflutete (..) rechte Zwilling Binden“ heute in der Heraldik genauso wenig gebräuchlich wie „zwei gewellte (..) Querbalken“[2]. Im 19. Jahrhundert empfahl man dagegen folgende „bessere“ Ausdrücke für das Caetani-Schildbild:
- „zwei gewellte Schrägbalken“[2]
- „ein (..) Zwillings-Schrägstrom“[2]
- „ein schrägrechter Zwillings-Wellenbalken“[3]
Auch Formulierungen wie „Zwillingsschrägbalken im Wellenschnitt“ scheinen in der neueren Heraldik möglich zu sein, um das Caetani-Schildbild adäquat zu beschreiben.
Blauer Zwillingsschrägbalken im Wellenschnitt
(Wappen Bonifatius VIII.)
Unkritische Übernahme in allgemeine Nachschlagewerke
Die unkonventionelle heraldische Terminologie von Ménestrier/Kühnen aus dem Jahre 1694 wurde von den Herausgebern und Autoren späterer allgemeiner Nachschlagewerke ohne kritische Analyse übernommmen, wie beispielsweise in den Werken von Zedler und Pierer nachvollzogen werden kann:
„Bezwillingt, Fr. Jumellé, sagt man in der Wappenkunst von dem Zwerg-Creutz oder Sparren, von Doppel- oder Zwilling-Streiffen. (Zum Beispiel) Gaetam, führt Silber mit zwey bezwillingten Wellen, oder mit einem gefluteten blauen rechten Zwilling-Binden. Es hat Bande, Balken, Schreg-Creutz- und Sparren, so bezwillingt heißen. Menestriers Herold- oder Wappenk. p. 105 u. 161.“
„Bezwillingt (Her.), eine Figur, die von Zwillingsstreifen begleitet ist.“
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Wilhelm Kühnen: Wohlanständige Adels-Zierde, das ist, Neue Umleitung zu der sogenannten Herold- oder Wappen-Kunst. Ulm. 1694. S. 105 und 161 (Google)
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Vgl.: Criticus: Die Heraldik der Gothaischen Hofkalenders 1890. In: Verein Herold in Berlin (Hrsg.): Der Deutsche Herold. Zeitschrift für Wappen-, Siegel- und Familienkunde. Nr. 3. Berlin 1890, S. 33 (Google [abgerufen am 15. Januar 2024] Jahrgang XXI.).
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, I. Band, 3. Abteilung, 3. Teil, C; Die Europäischen Fürstengeschlechter nicht Römisch-Kaiserlicher oder Deutsch-bundes-fürstlicher Extraction; Verfasser: Maximilian Gritzner, K. Heling; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1894. S. 50. Tafel 75.
- ↑ Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste: welche bisshero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. Dritter Band.
Barc-Bod
. Leipzig, 1752. Spalte 1106. (Google) - ↑ Pierer's Universal-Lexikon. In: www.zeno.org. 1857, S. 715-716, abgerufen am 14. Januar 2024 (Band 2).