Österreichischer Adel
Der Österreichische Adel ist aus dem Lehnswesen des Mittelalters entstanden und war bis zum Ende der Habsburgermonarchie 1918/1919 von einer großen Vielfalt in der Rangordnung, der sprachlichen, ethnischen sowie religiösen Zugehörigkeit geprägt, die die europäische Vielfältigkeit der Doppelmonarchie widerspiegelte. Der Hochadel war auch als „Erste Gesellschaft“ bekannt, im Gegensatz zur „Zweiten Gesellschaft“ und darunter dem gemeinem Volk.
Im Gegensatz zu dauerhaft zentralistisch regierten Staaten wie Frankreich gelang es den Habsburgern nie, alle wesentlichen regionalen ständischen Machtzentren auf Dauer zu unterdrücken, wiewohl sie - nach der Schlacht am Weißen Berg und im Zuge der Gegenreformation nicht katholische Eliten nach Kräften zu eliminieren trachteten und dabei in Böhmen und im Bereich des heutigen Österreich weitgehend erfolgreich waren. Vor allem der ungarische Adel blieb allerdings zu Konspirationen und Aufständen bereit und wurde zum Kern der Nationalbewegung im 19. Jahrhundert. Auch in Ober- und Niederösterreich war es im 16. und 17. Jahrhundert aufgrund einer Verquickung von religiösen und politischen Interessen zu einer Frontstellung zwischen dem zunächst mehrheitlich lutherischen Adel und den katholisch-zentralistischen Herrscherinteressen der Habsburger gekommen, die Gegenreformation setzte sich jedoch durch. Im 18. Jahrhundert reflektierte das Adelswesen der Donaumonarchie deren Anspruch als Führungsmacht des Katholizismus in Europa, auch spanische und irische Geschlechter wurden integriert. Aufgrund der Ausschaltung des religiösen Konfliktbereichs war das Verhältnis zwischen den Habsburgern und dem Adel speziell gegen Ende der Donaumonarchie nicht mehr allzu spannungsgeladen. Der alte Adel verlor im Zuge der Industrialisierung und den Aufstieg des Bürgertums im 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung, politisch spielte er jedoch noch eine Rolle im Herrenhaus.
Adel in der Monarchie
In den Stammlanden der Habsburger Monarchie sowie in Böhmen und Mähren lagen die Dinge nicht wesentlich anders als im Norden des alten Heiligen Römischen Reiches. Im Süden des Reiches war allerdings die Zahl der reichsunmittelbaren Herren und Städte wesentlich höher als im Norden. Andererseits war der Adel in der preußischen Armee stärker vertreten als in der österreichischen und anderen Armeen im süddeutschen Raum. Diese Adelsfamilien waren durchweg vermögender als der Adel in Preußen, so dass die jungen Edelleute – zumindest aus finanziellen Gründen – nicht genötigt waren, in den Militärdienst zu gehen.
Während des Barocks ließen Adelige prächtige Bauten und Gärten in der Residenzstadt Wien errichten um so nahe wie möglich am Monarchen zu sein und andererseits selber große Repräsentanz zu demonstrieren.
Jedem Ausländer war gestattet, sich des aus der Heimat mitgebrachten Titels als eines ausländischen zu bedienen, wenn er sich über sein Recht ausgewiesen hatte. Die ausländischen Titel (wie die venezianischen Principe, Duca, Marchese, Conte usw.) durften nicht ins Deutsche übersetzt werden, da sie der gleichlautenden Adelsstufe in den Staaten der Habsburger Monarchie nicht entsprachen. Nur die von der Republik Ragusa und von den Herzögen von Mailand verliehenen Adelsränge wurden anerkannt.
Im Vielvölkerstaat der Habsburger gab es – anders als in vielen anderen europäischen Staaten wie Preußen oder Frankreich – neben den deutsch-sprachigen Adelsfamilien (hochdeutscher, vor allem schwäbischer und niederdeutscher/niederländischer Adel) auch den Adel aus Ungarn, Polen, Kroatien, Slowenien, Italien und Böhmen, deren Adelstitel aber nicht immer miteinander vergleichbar und daher Quelle ständiger Rangstreitigkeiten waren.
Als Teil der so genannten Dezemberverfassung bestimmte das, heute noch in Geltung stehende, Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger RGBl. Nr. 142/1867 in Art. 2: „Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich.“ In Art. 7 wurde „jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband … für immer aufgehoben“. Die gesellschaftliche Praxis zeigte allerdings bis zum Ende der Monarchie, dass Adelstitel ihre Wirkung kaum eingebüßt hatten. Ihre Träger erwarteten sich Vorteile und erhielten sie zumeist auch.
Nobilitierte gehörten der „Zweiten Gesellschaft“ an, die weder zur Hocharistokratie (der „Ersten Gesellschaft“) noch zum „Volk“ gehörte. Es waren geadelte Wirtschaftstreibende, Beamte, Künstler, Offiziere und Angehörige der freien Berufe, die trotz erfolgter Nobilitation in ihrer Mentalität und in ihrem Sozialverhalten zumeist bürgerlich blieben: Die österreichische Zweite Gesellschaft bildete ab dem 18., vor allem aber ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Elite des aufsteigenden, teilweise liberalen Bürgertums. Im Jahr 1884 wurden diese Nobilitierungen, die quasi schon „fließbandmäßigen“ Charakter angenommen hatten, dadurch eingeschränkt, dass der Erwerb eines höheren Ordens nicht mehr mit dem Recht verbunden war, um Nobilitierung nachsuchen zu dürfen.
„Erste“ und „Zweite“ Gesellschaft hatten zwar gesellschaftliche Kontakte im Heer oder im Bereich der „Wohltätigkeit“. Aber das Konnubium war sehr eingeschränkt – nur vereinzelt gab es Geldheiraten von Aristokraten mit reichen Töchtern der Zweiten Gesellschaft.
Das Phänomen, von Voltaire fürs Ancien régime als "Kaskade der Verachtung" beschrieben, spielte besonders in Österreich-Ungarn eine Rolle, wo viele der frisch nobilitierten Bankiers- und Industriellenfamilien ursprünglich jüdischer Herkunft waren. Typischerweise erfolgten Nobilitierungen dieser Art auch nur bis zum Ritter- oder Freiherrenstand, die Ränge ab dem Grafenstand waren altadeligen Familien vorbehalten. Die österreichische Zweite Gesellschaft bildete vor allem ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Elite des aufsteigenden, liberalen und kaisertreuen Bürgertums.
Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Standesherr und preußischer General, beschreibt in seinen Memoiren die Kluft zwischen der altadeligen und der aufgestiegenen Kategorie innerhalb der "ersten Gesellschaft" im weiteren Sinne:
„Dass die Wiener höchste Aristokratie sehr abgeschlossen war, erwähnte ich bereits. Wollten doch Schönburgs, Schwarzenbergs, Liechtensteins usw den Minister Bach nicht bei sich empfangen. Da nun aber eine Anzahl Familien [...] sich bis in die leitenden Kreise hinaufgearbeitet hatten, und der Verkehr mit ihnen nicht zu vermeiden war, auch in Wien mehr geadelte Bankierfamilien lebten als in anderen Hauptstädten, die durch ein enormes Vermögen auch Einfluss hatten, so konnte man nicht umhin, auch diese Kreise zur ersten Gesellschaft zu rechnen, die sich aber danach in zwei Kategorien teilte. Diese beiden Kategorien verkehrten miteinander soweit, dass die Herren der ersten mit in die zweite gingen, die der zweiten in die erste hier und da eingeladen wurden. Niemals aber sah man eine Dame der ersten in der zweiten oder eine der zweiten in der ersten. Heiratete ein Herr aus der ersten eine Dame der zweiten, so fand seine Familie nicht Zutritt in der ersten. Am kaiserlichen Hofe soll [...] bei den großen Hofbällen auch die zweite Kategorie geladen worden sein. Zu den kleineren sogenannten Kammerbällen hatte sie keinen Zutritt. Diese zwei Klassen in der ersten Gesellschaft waren gewiß eine nur Wien angehörige Erscheinung.[1]“
Adelsaufhebungsgesetz von 1919
Am 3. April 1919 wurden „der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge, sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhange stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge deutschösterreichischer Staatsbürger“ aufgehoben. Der Gebrauch von Adelsbezeichnungen, Titeln und Würden wurde unter Strafe gestellt (Adelsaufhebungsgesetz StGBl. Nr. 211, Vollzugsanweisung am 18. April 1919, StGBl. 237). Das 1920 beschlossene und in novellierter Form auch heute gültige österreichische Bundes-Verfassungsgesetz stellt in Art. 7 fest:
„Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“
Besonders der Beamtenadel der „Zweiten Gesellschaft“ empfand diese republikanische Vorgangsweise als degradierend, weil die Standeserhöhungen die vielfach ersehnte soziale Krönung für die beamteten Adelswerber und deren Familien gewesen war. Die Mitglieder des Adels konnten die formale Entadelung leichter verschmerzen – sie verloren zwar formal ihre Titel und Privilegien, pflegten aber weiterhin ihre gesellschaftlichen Umgangsformen und behielten ihre Besitztümer. Michael Hainisch, Bundespräsident von 1920 bis 1928, nannte die offizielle Abschaffung des Adels
„ein kindisches Beginnen, schon deshalb, weil man gar nicht diejenigen traf, die man hatte treffen wollen. Ich sprach einmal mit der ebenso feinen wie klugen Fürstin Fanny Starhemberg über diesen Punkt. ‚Uns‘, sagte sie, ‚macht die Aufhebung des Adels nichts, wir bleiben mit oder ohne den Titel immer die Starhembergs.‘“
Die Abschaffung der adeligen Namen wird von konservativen Gruppierungen bis heute als Menschenrechtsverletzung betrachtet, da es sich 1918 bei allen adeligen Namen lediglich um individuelle Persönlichkeitsrechte der Namensbezeichnung handelte und sie nicht mehr mit irgendwelchen Standesrechten oder anderen rechtlichen Vorteilen verknüpft waren.
Heutige Situation
Die ehemaligen Adelsfamilien in den alten Stammlanden der Habsburger konnten ihre Position als Grundbesitzer auch nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend behaupten, da die nach 1945 anfänglich eingezogenen Güter in der sowjetischen Besatzungszone nach dem Staatsvertrag zurückerstattet wurden. Der Familienfideikommiss der Familie Habsburg-Lothringen wurde als einziger 1919 in österreichischen Staatsbesitz übergeführt, wo er sich heute noch befindet.
In Tschechien, wo der Adel von der Tschechoslowakischen Republik nach 1918 wie in Österreich aufgehoben und eine (in Österreich nicht vorgenommene) Bodenreform durchgeführt wurde, erhielt der Teil des ehemaligen Adels, der sich 1938 / 1939 zur tschechischen Volkszugehörigkeit bekannt hatte, nach 1992 seine vom kommunistischen Regime entzogenen Schlösser zurück, z.B. die ehemals fürstlichen Familien Schwarzenberg und Lobkowitz. Das den Söhnen des 1914 ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand gehörige Schloss Konopischt in Tschechien wurde der Familie Hohenberg nach 1918 entzogen und bis dato nicht zurückgestellt. Die Fürstenfamilie Liechtenstein hat ihren 1945 entzogenen Besitz in Tschechien ebenfalls nicht zurückerhalten.
Seit 2005 gibt es die Vereinigung der Edelleute in Österreich, die sich als Nachfolger der kurz vor dem Ersten Weltkrieg gegründeten, aber erst seit 1922 wirklich aktiven und von den Nationalsozialisten 1938 verbotenen Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich betrachtet. Nachdem vom österreichischen Innenministerium im Februar 2006 zunächst die Auflösung des Vereins betrieben worden war, wurde im November 2006 beschlossen, dass das Auflösungsverfahren eingestellt werden solle. Die Mitglieder des Vereins seien zwar nach dem Adelsaufhebungsgesetz in Österreich nicht zur Führung eines Adelstitels berechtigt, würden aber weiterhin dem historischen Adel angehören[2].
Der frühere Adel ist heute in Österreich ein historisches und gesellschaftliches Phänomen, politisch und rechtlich aber bedeutungslos. Witze über die Grafen „Bobby und Rudi“ sind selten geworden. Nach wie vor präsent sind Vertreter des ehemaligen Adels jedoch in der Regenbogenpresse.
Angehörige ehemaliger Adelsfamilien sind zudem relativ häufig in der heutigen Wirtschaftselite zu finden. Eine Studie zeigte, dass solche Personen in Österreich sechsmal wahrscheinlicher innerhalb der heimischen Wirtschaftselite zu finden sind als außerhalb.[3]
Einzelnachweise
- ↑ Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben, Bd. 1, Berlin 1897, S. 323.
- ↑ Oliver Pink: Rechtsstreit: Edelleute von heute, in Die Presse, 3. November 2007.
- ↑ Philipp Korom, Jaap Dronkers: Herr Direktor, von und zu. Die Presse, 11. Juli 2009, abgerufen am 21. Juli 2009 (deutsch).
Literatur
- Reinhard Binder-Krieglstein: Österreichisches Adelsrecht 1868-1918/19. Peter Lang, Wien 2000, ISBN 978-3-631-34833-8.
- Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi: Adel. Wien 1923.
- Karl Friedrich von Frank: Alt-Österreichisches Adels-Lexikon. Selbstverlag, Wien 1928.
- Peter Frank-Döfering: Adelslexikon des österreichischen Kaisertums 1804–1918.. Herder, Wien 1989, ISBN 3-210-24925-3.
- Der Gotha. Beilage. Der „Österreich-Gotha“. Mit Ergänzungswerken zum deutschen Adel. Saur, München 1997, ISBN 3-598-30359-9.
- Hajo Holborn: Das Zeitalter der Reformation und des Absolutismus (bis 1790). Oldenbourg Verlag, München 1970, ISBN 3-486-43211-X, speziell S. 270ff.
- Johann G. Megerle von Mühlfeld: Österreichisches Adels-Lexikon des 18. und 19. Jahrhunderts. 2 Bände, Mörschner & Jasper, Wien 1822/24.
- Karl Megner: Zisleithanische Adels- und Ritterstandserwerber 1868–1884. Institut für Österreichische Geschichtsforschung, ungedruckte Hausarbeit, Wien 1974, 313 S.
- Heinz Siegert: Adel in Österreich. Kremayr & Scheriau, Wien 1971, ISBN 3-218-00205-2.
- Hannes Stekl, Ernst Bruckmüller (Hrsg): Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie 18. bis 20. Jahrhundert. Verl.ag für Geschichte und Politik, Wien 2004, ISBN 3-486-56846-9.
- Gudula Walterskirchen: Der verborgene Stand – Adel in Österreich heute. Amalthea ,Wien 1999, völlig überarb. Neuauflage 2007, ISBN 3-85002-428-8.
- Gudula Walterskirchen: Blaues Blut für Österreich. Amalthea, Wien 2000, ISBN 3-85002-452-0.
Weblinks
- Stiftung Seeau Private Enzyklopädie über den Adel in Österreich
- historische Standeserhöhungen und Gnadenakte
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