Gewinde (Heraldik)
Der vieldeutige umgangssprachliche Ausdruck Gewinde ist in der neueren Heraldik eine unpräzise Bezeichnung für „verschiedene gewundene Dinge“[1], für ein Prachtstück, eine Armatur oder ein anderes, der Verzierung eines Wappensschilds dienendes Element. Die Bezeichnung kann im Zusammenhang mit vielen Ausprägungen angeführt sein, die voneinander unterschieden werden können, beispielsweise
- allgemein: Band-, Blumen-, Blüten-, Blatt-, Zweig-, Laub-, Früchte- oder anderes Gewinde
- spezieller: Lorbeer-, Eichenlaub-, Weinranken-, Rosen-, Sternblumen- oder anderes Gewinde
In der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens sind entsprechende Motive und der Ausdruck „Gewinde“ nicht gebräuchlich.
Darstellung
Gewinde als heraldischer Dekor
Ähnlich wie in der Alltagssprache ist in der heraldische Literatur der Ausdruck „Gewinde“ hauptsächlich als Konkurrenz- beziehungsweise Ersatzzwort für „Kranz“, „Girlande“, „Gehänge“, „Gewebe“, „Geflecht“, „Gebinde“ gebräuchlich.
„Im engen Anschlusz an das Winden der Blumen wird Gewinde zum Ersatz des Lehnwortes Guirlande und als Koncurrenzwort für Kranz eingeführt (..) In engerer Verwendung behauptet sich Gewinde bis in die neueste Zeit als Ersatzwort für Guirlande, nebenbei deckt es aber auch andere Formen des Blumengeflechtes und tritt manchmal für den Blumenkranz im Haar, ja sogar für den einfachen Strausz ein.“
Die Verwendung des Begriffs ist im Rahmen der Zopfheraldik, der napoleonischen Heraldik und angrenzender heraldischer Stilrichtungen zu finden, als ausschmückendes ornamentales Wappendekor Teil der repräsentativen Wappengestaltung überhaupt wurde. Auffällig ist, dass das Feston (dt.: „Girlande“) etwa im gleichen Zeitraum als modischer Dekor wiederaufgenommen wurde (Wechselbeziehungen zwischen Architektur-, Textilien- und eben Wappenverzierungen sind evident). Seyler bürgert den Ausdruck beispielsweise für die ringgirlandenförmigen Umkränzungen der Städte-Wappenschilde der napoleonischen Heraldik ein:
„I. Classe (bonnes villes): (..) Quer zwischen Schild und Krone ein Merkurstab, an dem rechts ein Gewinde von Eichenlaub, links ein solches von OIivenblättern befestigt ist.
II. Classe: (..) An dem Merkurstab rechts ein Oliven-, links ein Eichenlaub-Gewinde.“
Seyler folgt im Sprachgebrauch dem Historiker Felix Joseph von Lipowsky, der schon 1816 in seinem Werk Grundlinien der theoretisch und praktischen Heraldik im gleichen Zusammenhang von „Gewinden“ sprach.[4]
1985 hält Gert Oswald den Gebrauch von „Laubgewinde“ in einem Wappen für unheraldisch:
„Laubgewinde: den Schild umgebendes Dekor der Wappenkunst, das vorwiegend in der Zeit des Barocks, Rokokos und Klassizismus zur Verzierung der Wappenschilde verwendet wurde. Durch das Laubgewinde sollten die Helmdecken ersetzt werden. Derartige, ausschließlich vom Zeitgeschmack bestimmte Darstellungen verstoßen jedoch gegen die Grundregeln der echten Heraldik.“
Gewinde bei Ordensketten
1861 verwendet der Heraldiker Otto Titan von Hefner den Ausdruck „Gewinde“ zeitwidrig zur Beschreibung der Ordenskette des im 15. Jahrhundert gegründeten Ordre de Saint-Michel (Michaelsorden).
„Der St. Michaelsorden, von König Ludwig XI. von Frankreich 1469 gestiftet, hat eine Kette, deren Glieder silberne Muscheln und goldene Gewinde sind, und an der unten als Ordenszeichen ein eirunder Schild mit dem Bilde des Erzengels Michael hängt (..)“
Die muschelbesetzte Ordenskette des Michaelsordens erscheint auch in der Heraldik als Schmuckelement.
- Ordenskette des St. Michaelsordens
(Wappen François de Lorraine
)
Gewinde zur Beschreibung von Wulst/Crest
1871 bezeichnet Eufemia von Kudriassky in der Heraldisch genealogischen Zeitschrift des Wiener Vereins Adler den Crest beziehungsweise den Wulst im Wappen Shakespeares fälschlicherweise als „Gewinde“:
„(..) als Helmschmuck ein silberner Falke mit ausgebreiteten Flügeln, der auf einem Gewinde seiner Farben steht (..)“
Gewinde im Landeswappen Hessens
1948 findet sich bei der Beschreibung des Hoheitszeichen des Landes Hessens für ein Motiv auf dem oberen Schildrand der vage Ausdruck: „(..) auf dem Schilde ruht ein Gewinde aus goldenem Laubwerk (..)“[8]. Möglicherweise lehnten sich die Verfasser dabei an Mißdeutungen heraldischer Elemente an, die ein auf dem oberen Schildrand aufliegenden Crest als „Gewinde“ bezeichnen oder sie gingen davon aus, dass der Ausdruck „Gewinde aus Laubwerk“ ausreichend ist, um eine Verwechslung mit den historisch-heraldischen Ausdrücken „Laubkrone“ und „Laubgewinde“ zu verhindern.
Einzelnachweise
- ↑ Adelung: Das Gewinde. In: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Band 2. Leipzig 1796. S. 662.
- ↑
Lemma Gewinde. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
- ↑ Seyler, Gustav Adelbert: Geschichte der Heraldik. Wappenwesen, Wappenkunst, Wappenwissenschaft. In: J. Siebmachers großes Wappenbuch. Band A. Repgrografischer Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1885-1889 (1890). Neustadt an der Aisch. 1970.
- ↑ Felix Joseph von Lipowsky
: Grundlinien der theoretisch und praktischen Heraldik: nebst heraldisch-historischen Bemerkungen über das bayerische Wappen. München 1816. S. 84.
- ↑ Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Bibliographisches Institut, Mannheim, Wien, Zürich 1984, ISBN 3-411-02149-7, S. 249 (Digitalisat [abgerufen am 29. Februar 2020]).
- ↑ Hefner, Otto Titan von: Handbuch der theoretischen und praktischen Heraldik. Weißenburg, Nordgau. 1861<. S. 20
- ↑ Eufemia von Kudriassky: Heraldisch-genealogische Notizen über die Familie Shakespeare. In: Heraldisch genealogischer Zeitschrift. Organ des Heraldisch Genealogischen Vereins Adler in Wien. Wien 1871. S. 114
- ↑ Hessisches Staatsministerium: Gesetz über die Hoheitszeichen des Landes Hessen vom 4. August 1948. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen. 1948, Amtsblatt Nr. 21, Seite 111; identisch mit der geltenden Fassung.
Weblinks



