Reichsfürst
Ein Reichsfürst (lateinisch princeps regni bzw. imperii) war im Heiligen Römischen Reich ein Adliger, ein Fürst, der sein Lehen nur und unmittelbar vom König bzw. Kaiser erhalten hatte. Es bestand also eine lehnsrechtliche Reichsunmittelbarkeit.
Zu einem eigenen Stand im Rechtssinne bildete sich der Reichsfürstenstand im Spätmittelalter heraus. Der Titel eines Reichsfürsten und die darin enthaltene Reichsunmittelbarkeit bildete eine gewisse rechtliche Sicherheit dagegen, dass ein anderer, mächtigerer Adliger einen Fürsten von sich abhängig machte.
Geschichte
Wie es genau zur Herausbildung eines eigenen Fürstenstandes im hochmittelalterlichen Reich kam, ist auf Grund mangelnder Quellenlage ungeklärt. Der Vorgang ist nur anhand der Wirkungen in den Quellen sichtbar. Vor der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde der Begriff Fürst (lateinisch princeps, „der Erste“) in einem allgemeinen, weit gefächerten Sinne verwendet und bezeichnete hochgestellte Geistliche und Laien, mitunter aber auch Ministeriale. Nach unten war der Begriff nicht genau abgegrenzt. Mit „Fürst“ war eher die soziale als die rechtliche Rolle des so Bezeichneten gemeint.
Ab etwa 1180 (Gelnhäuser Urkunde) blieb der Titel des Fürsten beziehungsweise Reichsfürsten dann aber einem ausgewählten, mit besonderen Vorrechten ausgestatteten Kreis von weltlichen und geistlichen Adligen vorbehalten. Für die Zugehörigkeit zu den geistlichen Reichsfürsten musste die Regalienbelehnung, also die Zuweisung von ursprünglich königlichen Rechten, wie Erhebung von Zöllen und das Recht der Münzprägung, durch den König selbst erfolgt sein. Dadurch wurde demjenigen die dritte der Heerschildstufen im Reichslehnsverband zugewiesen und machte ihn zu einem Teilhaber an der Reichsgewalt. Den ersten Schild hielt der König und den zweiten die Bischöfe und Äbte. Die Trennlinie verlief somit zwischen dem dritten Schild der nichtgeistlichen Fürsten und den freien Herren, die den vierten Schild trugen.
Ursprünglich galt für die weltlichen Reichsfürsten auch, dass diese ihr Lehen unmittelbar vom König erhalten haben mussten. Da aber viele weltliche Adlige Reichsabteivogteien als Lehen indirekt von geistlichen Fürsten erhalten hatten, wurde wohl mit Rücksicht auf diese auch zugelassen, dass eine lehnsrechtliche Abhängigkeit nicht nur vom Reich, sondern auch von geistlichen Reichsfürsten bestehen durfte. Der Sachsenspiegel wies dementsprechend den weltlichen Fürsten die dritte Stufe der Heerschildfolge zu.
Das Kriterium der Reichsunmittelbarkeit des Lehens war insofern nicht ausreichend, da dies auch auf viele Grafen und freie Herren zutraf, denen aber der Zugang zum Reichsfürstenstand verwehrt blieb. Deshalb gab es noch weitere landesrechtliche Kriterien, das heißt der Fürst musste über eine einem Herzogtum ähnliche übergeordnete „Gebietsherrschaft über ein Land“ mit einer übergeordneten Gerichtsbarkeit verfügen. Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts musste auch eine förmliche Erhebung in den Reichsfürstenstand stattfinden, wie es erstmals im Jahr 1235 bei der Erhebung der welfischen Eigengüter zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg durch Kaiser Friedrich II. erfolgte, wodurch Herzog Otto das Kind zugleich in den Reichsfürstenstand erhoben wurde. Ein weiteres Beispiel ist im Jahr 1292 die Erhebung des hessischen Landgrafen Heinrich I. in den Reichsfürstenstand. Für die seit alters her als Reichsfürstentümer geltenden Territorien wie die Markgrafschaft Brandenburg oder die Pfalzgrafschaft bei Rhein erfolgten allerdings keine nachträglichen Erhebungen.
Um das Jahr 1190 lassen sich 92 geistliche, aber nur 22 weltliche Adlige, die von 14 Geschlechtern gestellt wurden, ermitteln, die als Reichsfürsten anerkannt waren[1]. Zu den weltlichen Reichsfürsten gehörten der König von Böhmen, die Herzöge des Reiches, die Markgrafen von Brandenburg, Meißen und Namur, der Pfalzgraf bei Rhein, der Landgraf von Thüringen und der Graf von Anhalt. Durch Standeserhebung und Teilung in Folge von Erbschaften von Territorien und Aufnahme in den Reichsfürstenstand aus Gewohnheitsrecht wurde das zahlenmäßige Missverhältnis zwischen geistlichen und weltlichen Reichsfürsten bis zum Ende des Mittelalters etwas korrigiert.
Der Prozess der Herausbildung und Ausdifferenzierung der Definition des Reichsfürstenstandes zog sich bis zum 14. Jahrhundert hin.
Ursprüngliche rechtliche Stellung
Die Reichsfürsten beanspruchten viele Vorrechte und Privilegien. Dazu gehörten das Führen des fürstlichen Titels und der fürstlichen Prädikate (z.B. die Anrede „Durchlaucht“ - oder lateinisch „illustris“) im offiziellen Schriftverkehr, zeremonielle Ehrenrechte und -ämter und bestimmte Privilegien im gerichtlichen Verfahren. Als wichtigste dieser Vorrechte besaßen Reichsfürsten besondere Herrschaftsrechte. Dies waren das Recht auf Teilnahme an der Wahl des Königs, was aber bereits 1356 wieder auf einen kleinen Kreis der Reichsfürsten, die Kurfürsten, eingeschränkt wurde, das Recht, Grafen und freie Herren als Vasallen zu haben, das Recht zur Einrichtung von Hofämtern sowie die Verfügung über Zoll-, Gerichts- und Münzregalien.
Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit
Nach der Reichsmatrikel von 1521 zählten zu den geistlichen Reichsfürsten die vier Erzbischöfe von Magdeburg, Salzburg, Besançon und Bremen sowie 46 weitere Bischöfe. Diese Zahl verringerte sich bis 1792 auf 33, darunter die beiden Erzbischöfe von Salzburg und Besançon und 22 Bischöfe. Die protestantisch gewordenen Erzbistümer Magdeburg und Bremen und die Bistümer insbesondere im Norden und Nordosten, die zunächst nach der Reformation unter der Herrschaft protestantischer Administratoren standen, waren weitgehend in den Jahrzehnten nach der Reformation bzw. mit Ende des Dreißigjährigen Krieges durch benachbarte Fürsten säkularisiert worden und schieden damit aus dem Stand der geistlichen Reichsfürsten aus. Hinzu kamen Mediatisierungen und das Ausscheiden von Gebieten aus dem Reich. So wurden zum Beispiel die Bistümer Wallis, Genf und Lausanne eidgenössisch und Cambrai, Verdun, Metz und Toul französisch.
Entgegen der Anzahl der geistlichen Reichsfürsten, die sich bis zum Ende des Reiches um zwei Drittel reduzierte, erhöhte sich die Anzahl der weltlichen Reichsfürsten auf mehr als das Doppelte. Die Wormser Reichsmatrikel von 1521 zählte noch 24 weltliche Reichsfürsten. Ende des 18. Jahrhunderts werden hingegen 61 Reichsfürsten aufgeführt. Ursache hierfür sind die Säkularisationen ehemals geistlicher Reichsfürsten, für deren Territorien die weltlichen Fürsten, denen das Gebiet zugefallen war, weiterhin eine Stimme im Reichsfürstenrat führten. Ferner ist die Stimmenvermehrung zurückzuführen auf die Erhebung einer Reihe adliger Familien in den Reichsfürstenstand mit Reichsstandschaft durch den Kaiser. Einige Beispiele hierfür sind die Erhebungen der Grafen von Ostfriesland, Waldeck, Fürstenberg, Liechtenstein, Nassau, Schwarzburg, Salm oder Thurn und Taxis in den Reichsfürstenstand. Bemerkenswert ist in diesen Zusammenhang, dass die gefürsteten gräflichen Familien nicht mehr einen höheren Adelstitel (z.B. Herzog) erhielten, sondern ihr Territorium künftig als "Fürstentum" und sie selbst "Fürsten" bezeichnet wurden. War "Fürst" also früher ein Gattungsbegriff für den ganzen Stand gewesen, so diente er nun auch als Adelsprädikat für die unterste Gruppe des Reichsfürstenstands. Ein weiterer Grund für die Vermehrung der weltlichen Reichsfürsten ist die Aufspaltung von Adelsgeschlechtern in mehrere Seitenlinien. So bildeten sich im Lauf der Zeit je fünf pfälzische und sächsische, vier braunschweigische, drei badische, je zwei fränkisch-brandenburgische, pommersche, mecklenburgische, hessische und holsteinische Linien.
Immerhin wurde bereits 1582 auf dem Augsburger Reichstag die Anzahl der Reichsfürsten durch dynastische Zufälle eingeschränkt. Die Reichsstandschaft wurde an das Territorium des Fürsten gebunden. Erlosch eine Dynastie, übernahm der neue Territorialherr die Reichsstandschaft, im Falle von Erbteilungen übernahmen sie die Erben gemeinsam.
Die Reichsfürsten bildeten auf dem Reichstag den Reichsfürstenrat, auch Fürstenbank genannt. Diese war entsprechend der Zusammensetzung der Fürstenschaft in eine geistliche und eine weltliche Bank geteilt. Durch die Bindung des Reichsfürstenstandes an die Herrschaft über ein Territorium war die Anzahl der Stimmen nach der Reichsmatrikel bestimmt und bildete die Grundlage für die Stimmberechtigung im Reichstag. War ein weltlicher oder geistlicher Fürst Herr über mehrere Reichsterritorien, so verfügte er auch über die dementsprechende Anzahl von Stimmen.
Die bedeutendsten unter den Fürsten waren an Macht und Größe der regierten Territorien zumindest den geistlichen Kurfürsten überlegen und forderten deshalb seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts eine politische und zeremonielle Gleichstellung der Reichsfürsten mit den Kurfürsten.
Literatur
- Julius Ficker: Vom Reichfürstenstande, Innsbruck, 1861 (Im Volltext bei Wikisource)
- Karl-Friedrich Krieger: König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, München 2005, ISBN 3-486-57670-4
- Malte Prietzel: Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3534151313
- Axel Gotthard: Das Alte Reich 1495 – 1806 , Darmstadt 2003, ISBN 3534151186
- Helmut Neuhaus: Das Reich in der frühen Neuzeit, 2. Auflage, München 2003, ISBN 3-486-56729-2
- Hermann Conrad: Deutsche Rechtsgeschichte, Bd.1: Frühzeit und Mittelalter; Bd. 2: Neuzeit bis 1806, Karlsruhe 1966
- Dieter Mertens: Der Fürst. Mittelalterliche Wirklichkeiten und Ideen, Köln, Weimar, Wien, 1998. Im Volltext als PDF
Anmerkungen
- ↑ Mertens, S. 71
Quellenhinweis
Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag „Reichsfürst“ aus der freien Enzyklopädie Wikipedia in der Version vom 24. Mai 2010 (Permanentlink: [1]). Der Originaltext steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation bzw. unter CC-by-sa 3.0 oder einer adäquaten neueren Lizenz. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Autoren verfügbar.