Rossschweif (Heraldik)
Der Ausdruck Rossschweif/Roßschweif ist im Wappenwesen mehrdeutig und bezeichnet zwei unterschiedliche gemeine Figuren:
- den (gemeinen) Schweif eines Pferdes/Rosses
- namensgebend abgeleitet ein (osmanisches, zentralasiatisches) Würde-/Kriegs-/Feld-/Militär-/Rangzeichen (eine Art Standarte, welche Tataren, Mongolen, Turkvölkern, Osmanen u. a. verwenden).
Darstellung
Rossschweif (Schweif eines Pferdes)
Die Figur (gemeiner) Rossschweif (auch Rossschwanz, Roßbusch, Pferdeschwanz, Pferdeschweif, Pferdehaare oder ähnlich genannt; frz.: queue de cheval; engl.: tail of horse) ist einer Schweifrübe zusammen mit dem an ihr wachsenden Langhaar oder nur dem „Schwanz eines Pferdes“ (beziehungsweise den Pferdeschweifhaaren in einem Bündel) nachempfunden.
Die Figur erscheint selten oder gar nicht alleinstehend in einem Wappen. Sie ist gewöhnlich ein Teil einer anderen Figur oder mit anderen Wappenmotiven kombiniert. Beispielsweise dienen Rossschweife der Verzierung von Helmen oder Schellenbäumen, als Fliegen- oder als Teufelswedel (letzeres im Zusammenhang mit den Narrenzünften und Sagen rund um den Bruckwaldteufel)
Frühmittelalter: Rosschweif an einem Lamellenhelm (Rekonstruktion, Niederstotzingen)
Als Referenzwappen für die Figur Rossschweif nennt die Wappenbilderordnung das Wappen der Familie Eybiswald/Eideswald[1], im Steyrischen 1280 bis 1673 vorkommend, später preußisch. Im Wappen erscheinen zwei schragenweise gekreuzte Stäbe, an deren oberen Ende jeweils ein haarähnliches „Bündel“ befestigt ist. Im Siebmacher werden die Figuren als „Geiseln“ interpretiert[2][3], andere halten sie für gekreutze „Dreschflegel“; gegen beides wendet sich Wißgrill, der die kreuzweise gestellten Motive für „Wedel/Fliegenwedel“[4] (evtl. mit Rosshaar -- Anm. der Redaktion) hält.
Der Ausdruck „Rossschweif“ kann im Zusammenhang mit der Tingierung eines Rosses in Wappenbeschreibungen erwähnt sein. Beispielsweise ist der Ausdruck anwendbar, wenn nicht die komplette Bewehrung (Mähne, Hufe, Rossschweif) der Figur Ross anders tingiert ist als die Pferdefigur, sondern wenn nur der Pferdeschwanz hervorgehoben erscheint (zum Beispiel: „rotes Ross mit goldenem Rossschweif“). Der Ausdruck wird auch verwendet, um die Stellung oder eine Besonderheit des Pferdeschwanzes zu bestimmen (zum Beispiel: „Ross mit erhobenem Rossschweif“, „Ross mit unterschlagenem Rossschweif“ et cetera), was im Einzelfall manchmal heraldisch bedeutungslos ist.
Rossschweif als Würdezeichen
Die Figur Rossschweif (Tugh[5], Tugg[6] genannt; osmanisch طوغ, İA ṭuġ; auch توغ / tuġ; frz.: étandard tur; engl.: horsetail standard, [tuman] tugh, tuk oder tuq) ist einer Stange („Reiterspieß“) nachempfunden, die an der Spitze mit einer nach oben gerichteten Mondsichel verziert ist und an der nur wenig darunter ein Rosshaarbüschel aus „unterschiedlich gefärbten Pferdehaaren“ befestigt ist. Andere Objekte an der Spitze (Dreizack, Kugel) oder eine Mondsichel, die in eine andere Richtung gerichtet ist (nach rechts/links, unten, schrägrechts/-links) respektive von einer weiteren Figur begleitet wird (Stern), sind zu melden. Sind zwei oder mehr Rosshaarbüschel an der Stange befestigt, ist die genaue Anzahl anzuzeigen, da sie einer speziellen Würde entspricht (sechs, sieben, im Kriegsfall bis höchstens neun Rosshaarbüschel = Sultan; fünf Rosshaarbüschel = Großwesir; zwei Rosshaarbüschel [bei besonderen Verdiensten drei] Rosshaarbüschel = Kommandant [ağa] der Janitscharen oder Wesir; zwei bzw. drei Rosshaarbüschel = Pascha; zwei Rosshaarbüschel = Statthalter; ein Rosshaarbüschel = Gouverneur [sancakbeyi] kleinerer Provinz).[7]
Die heraldische Darstellung ist gewöhnlich an dem rund 400 Jahre gebräuchlichen osmanischen Würdezeichen („Türkenstandarte“) orientiert. Äquivalente Motive aus vorislamischer Zeit, der (mongolische) Rosschweifbanner (engl.: tug banner) mit mehreren kreisförmig angeordneten Schweifhaarbüscheln, die neueren, „Bunchuk“ genannten Würdezeichen osteuropäischer (polnischer/ukrainischer/russischer) Form spielen in der deutschsprachig-geprägten Heraldik bis dato (2016) keine oder ein nur eine unwesentliche beziehungsweise vernachlässigbare Rolle.
„Der Rossschweif (Tafel XXVI. Figur 99.): ist die türkische Heeresfahne und besteht aus einer vom Halbmond gekrönten Stange, an der ein Rossschweif hängt. Er ist in Ungarischen und Schwedischen Wappen vorzugsweise beliebt (..) Besondere Feldzeichen sind noch (..) der türkische Rossschweif (Tafel XXXII. Figur 117.).“
Wappenbilderordnung
- Die Figur Rossschweif/Türkenstandarte wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Herrschafts-, Rang- und Würdezeichen unter der Nr. 9878 aufgenommen.
- Die Figur Rossschweif/Pferdeschwanz wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Untere Teile bzw. hintere Teile: 2. Tiere unter der Nr. (05401)-766 aufgenommen.
Rossschweif in der Paraheraldik
Der Rossschweif erscheint auch in der Militärheraldik (zum Beispiel in den Insignien der Spahis, das sind Kavallerieeinheiten der französischen Armee, deren Soldaten sich vorwiegend aus einer indogenen Population aus Algerien, Tunesien und Marokko rekrutiert).
Einzelnachweise
- ↑ Wappenbilderordnung. Symbolorum armorialium ordo, hrsg. vom Herold - Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin. Bearb. von Jürgen Arndt und Werner Seeger, 2 Bde, 2. ergänzte u. berichtigte Aufl., Neustadt a. d. Aisch 1990-1996 (kurz: WBO). Bd. 1.: Wappenbilder; Bd. 2: General-Index.
Editorische Notiz: Zugleich Neubearbeitung des Handbuchs der heraldischen Terminologie von Maximilian Gritzner (Einleitungsband, Abt. B des Neuen Siebmacherschen Wappenbuches, Nürnberg, 1890). Band 1, Seite 340. - ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, VII. Band, 2. Abteilung; Ergänzungsband: Pruessische Grafen und Freiherren, Ergänzungen; Verfasser: C. Blazek; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1886. S. 27, Tafel 18.
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, IV. Band, 4. Abteilung, 1. Teil; Der Niederösterreichische Landständische Adel: A-R; Verfasser: J.E. Kirnbauer von Erzstätt; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1918. S. 87, Tafel 43.
- ↑ Franz Karl Wißgrill: Schauplatz des landsässigen Nieder-Österreichischen Adels vom Herren- und Ritterstande. Wien 1794. Zweyter Band: Franz Seizer. Wien 1795. Google. S. 372, 373.
- ↑ Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 794.
- ↑ Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 379
- ↑ Angaben weitgehend zitiert nach: Badisches Landesmuseum, Karlsruhe. Die Karlsruher Türkenbeute. Die „Türckische Kammer“ des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden. Die „Türckischen Curiositaeten“ der Markgrafen von Baden-Durlach. Bearbeitet von Ernst Petrasch, Reinhard Sänger, Eva Zimmermann, Hans Georg Majer. Karlsruhe 1991. S. 67-70 und S. 207 beziehungsweise aus: Petrausch, Ernst: Hoheitszeichen. Fahnen und Rossschweif. Internet: PDF-Datei auf www.tuerkenbeute.de. Abgerufen am: 27. März 2016
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 125 und S. 164