Vierpass
Der Vierpass (mißverständlich auch Vierblatt genannt; französisch quatre-feuilles; englisch quatrefoil, caterfoil) ist ein häufiges Ornament der Romanik und der Gotik. Er besteht üblicherweise aus vier Kreisbögen mit gleichen Radien, die einem Kreis oder einer anderen Umfassung einbeschrieben sind.
Vorbemerkung und Anwendung
Zwei-, Drei-, Vier-, Fünf-, Sechs-, Sieben-, Achtpass ... und so weiter sind mehr oder weniger häufige Ornamente der Romantik oder Gotik, die in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen vorkommen, zum Beispiel:
Architektur | Im Bauwesen sind Vier- und andere Pässe vor allem im Maßwerk bei der Gestaltung von Fenstern gebräuchlich oder (als Blendmaßwerk) bei der Dekoration von Wandflächen. Grundrisse von Gebäuden oder Gebäudeteilen beruhen manchmal auf einer Vierpassform. Maßwerk mit mehr als vier Bögen wird zusammenfassend auch Vielpass genannt.
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Numismatik | Im Münzwesen dienen Vierpässe (neben anderen Pässen) auf Münzen zur Verzierung des Gepräges; sie umschließen beispielsweise das innere Münzbild und sind seit dem Hochmittelalter als ornamentale Umrahmung der Münzrückseite (Revers) zu finden.
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Sphragistik | Im Siegelwesen dienen sie der Verzierung oder Umschließung eines Siegelbildes oder erscheinen als eigenständiges Siegelbild.
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Heraldik | Im Wappenwesen ist der Vierpass (neben anderen Maßwerkpässen) eine gemeine Figur und ein Zuordnungsbegriff.
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Seltener als der Vierpass treten der Dreipass und der Vielpass auf. Zu den Vielpässen zählen unter anderem der Fünfpass und der Sechspass.
Darstellung
Es gibt sowohl „stehende“ als auch „liegende“ Formen. Ein Vierpass besitzt vier Symmetrieachsen. Es gibt zwei häufig verwendete Formen: Die meisten Vierpässe bestehen entweder aus vier Halbkreisbögen oder aus vier Dreiviertelkreis- oder Hufeisenbögen. Darüber hinaus kommen vor allem in der Spätgotik zahlreiche Varianten vor, darunter gestreckte oder gebogene Vierpässe, deren Flächen oder Maßwerklinien sich – vor allem beim Blendmaßwerk – überschneiden können.
Liegender Vierpass mit Spitzen eines Quadrats
„Liegende“ Dreipässe an der Porte narbonnaise in Carcassonne
Geschichte
In der klassischen Antike tauchen Vierpässe nicht auf. Einer der ersten Vierpässe aus dem 6. Jahrhundert findet sich im frühchristlichen Baptisterium der tunesischen Stadt Kelibia, welches sich heute im Bardo-Museum in Tunis befindet. Er wiederholt sich auf einer unteren Ebene und ist vollständig mit Mosaiken überzogen, die möglicherweise eine Vier-Jahreszeiten-Symbolik beinhalten.
Die Interpretation des Vierpasses wird ab dem achten Jahrhundert aus der byzantinischen von der lateinischen Kirche übernommen und steht zunächst vermehrt für die Einheit der vier Evangelisten. Ein bekanntes Beispiel ist die Darstellung von Markus im karolingischen Codex Liber Viventium (Buch der Lebenden) aus Pfäfers.
Ab dem 12. Jahrhundert werden dann manchmal die Heiligen von dieser speziellen Mandorla-Form umschlossen, als Zeichen, dass sie nach ihrem Tod in den Himmel eingegangen sind. In der Gotik wird der Einsatz vielseitiger und reicht von der architektonischen Verwendung als Brunnenform bis zur Verwendung auf Münzen.
Vierpass als Grundriss: Kapelle in Oderhellen, Siebenbürgen
Vierpass in der Heraldik
Vierpassmotive wurden im Siegel-/Münzwesen spätestens im 14. Jahrhundert mit Wappen kombiniert, allerdings waren sie gewöhnlich nicht wesentliche Bestandteile des Siegel-/Wappenbildes, sondern dienten als eine Art optische Ausschmückung oder Rahmen für das eigentliche, bedeutungstragende Motiv.
„(..) um 1380 also tritt die Mode auf, das Wappen, sei es nun als Schild allein oder als vollkommenes Wappen mit Schild, Helm und Decken, innerhalb eines konstruktiven gothischen Ornaments im Siegelfelde, eines Drei-, Vier-, Fünf-Passes und so fort, darzustellen. Es gibt sehr schöne Beispiele solcher Siegelornamentik, dieselbe bleibt aber doch immer nur ein sphragistische und hat mit der Heraldik des Wappens wenig mehr als den lokalen Zusammenhang (..)“
Vierpass als gemeine Figur
In der neueren Heraldik ist der Vierpass eine gemeine Figur. Die Lage („liegend“ oder „stehend“) ist in der Wappenbeschreibung zu erwähnen.
Durchbrochene Vierpass-Form in einem Wappen
Goldgefasster blauer stehender Vierpass mit aufgelegtem roten Schild (La Sauvetat (Puy-de-Dôme))
Vierpass als Zuordnungsbegriff
Im Vierpass (gestellt) ist in der Heraldik ein veralteteter, nicht wohldefinierter Zuordnungsausdruck für die symmetrische Anordung von vier gleichrangigen Wappenfiguren im Wappen oder Feld um einen angenommenen Mittelpunkt herum, wobei die Einzelfiguren sich nicht berühren und sozusagen freistehend die Figur eines Vierpasses bilden. Die Autoren der neueren heraldischen Literatur verwenden zur Beschreibung entsprechender Wappenbilder eher längere Anordnungs- und Zahlenausdrücke, wobei die Zahlen die Lage der Einzelfiguren übereinander beschreiben. Der veraltete Ausdruck „vier zugewendete Mondsicheln im Vierpass gestellt“ wird beispielsweise heute eher folgendermaßen definiert: „vier zugewendete Mondsicheln 1-über-2-über-1 gestellt“ (auch „vier zugewendete Mondsicheln 1:2:1 gestellt“; „4 Mondsicheln, sämtlich einander zugekehrt 1:2:1 gestellt“ oder ähnlich; französisch 4 croissants, affrontés les uns aux autres, posés 1, 2 et 1; englisch 4 charges, all facing each other, 1, 2 and 1).
Ein Aneinanderstoßen der vier Figuren ist besonders zu melden! Beispielsweise unterscheiden sich vier im Vierpass „[frei]-gestellte“ Mondsicheln von dem Wappenmotiv Lunel, bei der vier zugewendete Mondsicheln aneinanderstoßen.
Vierpass als Attribut oder Nebenfigur
Manchmal erscheint eine Vierpassfigur als Nebenfigur in einem Wappen oder der Ausdruck „Vierpass“ wird verwendet, um besonderes Merkmal einer Wappenfigur zu beschreiben. Beispielsweise erscheint im Wappen Borken eine Befestigungs unter anderem mit einem Fenster, dessen besondere Ausprägung in der Wappenbeschreibung folgendermaßen definiert ist: „mit vierpassförmiger silberner Fensterrose“.[4]
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Anmerkung: Mit Reliefszenen aus dem Leben des Heiligen Guthlac.
- ↑ In Rot ein kreuzförmig gestalteter Vierpass („Vierblatt“) auf silberner Scheibe -- Der Hessische Minister des Inneren: Genehmigung eines Wappens und einer Flagge der Stadt Baunatal, Landkreis Kassel, Regierungsbezirk Kassel vom 27. November 1968. In: Staatsanzeiger für das Land Hessen. 1968 Nr. 51, S. 1891, Punkt 1467 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 5,1 MB]).
- ↑ Hefner, Otto Titan von: Altbayerische Heraldik: unter Zugrundelegung eines neuen allgemeinen Systems der wissenschaftlichen Heraldik. Band 2. München, 1870. S. 135 ff. Tafel V. (Google)
- ↑ § 2 Absatz 1 der § 2 der Hauptsatzung der Stadt Borken und Veddeler, Peter; Wappen, Siegel, Flaggen; Münster 2003; S. 104 und 356; ISBN 3-87023-252-8
Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag „Vierpass“ aus der freien Enzyklopädie Wikipedia in der Version vom 27. Januar 2021 (Permanentlink: [1]). Der Originaltext steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation bzw. unter CC-by-sa 3.0 oder einer adäquaten neueren Lizenz. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Autoren verfügbar.