Abgestanden

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Abgestanden beziehungsweise schmachtend sowie belebt sind veraltete und ungebräuchliche Kunstausdrücke der neueren Heraldik. In einem ganz allgemeinen Sinn sollen sie beschreiben, ob ein (gemeiner) Fisch oder ein fischartiges Wappentier (Delfin, Wal) mit offenem oder geschlossen Maul erscheint. In der Früh- und Blütezeit des Wappenwesens sind diese Begriffe nicht gebräuchlich.

Begriffsgeschichte

Die Kunstausdrücke „abgestanden“, „schmachtend“ und „belebt“ sind mit ihrer heraldischen Bedeutung -- unabhängig von der Epoche -- in keinem namhaften Wörterbuch oder Lexika (Adelung, Grimm, Meyer etc.) verzeichnet. In der deutschsprachigen Heraldikliteratur spielen sie ursprünglich keine Rolle. Sie erhalten erst ab dem 19. Jahrhundert in Folge der „Bernd'schen Schrullen“ (Querfurth über Christian Samuel Theodor Bernd)[1] eine gewisse Relevanz für die Heraldik, weil sie in den Werken von Heraldikern wie von Sacken (1893)[2], Oswald (1984)[3], Scheibelreiter (2006/2014)[4][5] und Anderen unkritisch als zur heraldischen Terminologie gehörend übernommen sind. Dabei geben sie vermutlich nur unbrauchbare Bernd'sche Übersetzungen andersprachiger Heraldikbegriffe wieder (beispielsweise setzt er französisch „pâmé“ mit „schmachtend“ gleich, was treffender mit einem Ausdruck wie zum Beispiel „mit offenem Maul“ übersetzt werden kann).

Abgestanden

Abgestandene Delphine
(nach der Bernd'schen Definition von 1856 [offenes Maul ganz von einer Farbe]; aber nicht nach der von 1849 [weil hier Zähne und Auge erscheinen]; Wappen Anne de Forez)

1849 verwendet Bernd den Ausdruck „abgestanden“ explizit nur im Kontext mit einer Delphinfigur:

„(..) abgestanden, wenn er (der Delphin) das Maul offen hat und wenn er ganz von einer und derselben Farbe und nicht Auge und Zähne zeigt.“

Christian Samuel Theodor Bernd, 1849[6]

Nur sieben Jahre später relativiert Bernd seine Bestimmung des Ausdrucks „abgestanden“, indem er keine Angaben zum Nichtzeigen/Zeigen von Augen und Zähnen macht; ein „abgestandener Delphin“ kann somit sowohl mit Augen und Zähnen erscheinen, als auch ohne diese Elemente.

„(..) abgestanden, wenn er (der Delphin) mit offenem Maule ganz von einer Farbe ist.“

Christian Samuel Theodor Bernd, 1856[7]

Die heraldische Literatur (Sacken u. a.) verallgemeinert im Laufe der Jahre den Gebrauch des Ausdrucks „abgestanden“. Der Terminus soll nicht mehr nur für Delphinfiguren gelten, sondern für jede Fischfigur:

„(..) In welcher Stellung werden die Fische in der Heraldik dargestellt (..) abgestanden, mit offenem Maul (..)“

Eduard Freiherr von Sacken: 1893[2]

Im Gegensatz zur unkritischen Übernahme bezweifeln Querfurth 1872 und Gritzner 1889 den Nutzen des Ausdrucks „abgestanden“ für die Heraldik. Während Querfurth es für unwesentlich erachtet, ob das Maul einer (gemeinen) Fischfigur beziehungsweise einer fischartigen Wappenfigur offen oder geschlossen ist, unterscheidet Gritzner zwischen „großen“ und „kleinen“ Fischfiguren (erstere sollen stets mit halboffenen Maul, letzere gewöhnlich mit geschlossenem Maul dargestellt werden):

Abgestanden will man einen Fisch genannt wissen, wenn er das Maul offen hat. Es dürfte wohl darauf nichts ankommen und es wird -- wenigstens in Deutschland Niemand absichtlich einen abgestandenen Fisch in das Wappen geben oder nehmen!!“

Curt Oswalt Edler von Querfurt (1872)[1]

„abgestanden (v. Q.) soll ein Fisch heissen, dem das Maul weit offensteht; wir haben in Wappen schwimmend noch niemals einen solchen Fisch gesehen, dagegen kommen Delphine, Barben u. a. grosse Fische stets mit halboffenem Maule vor.“

Siebmacher/Gritzner (1889)[8]

Schmachtend

1849 erläutert Christian Samuel Theodor Bernd den mehrdeutigen Ausdruck „schmachtend“ folgendermaßen:

„Zeigt der Adler keine Zunge, als klebe sie ihm am Gaumen und hat er die Augen geschlossen, oder zeigt der Delphin keine Augen (..) von anderer Farbe und hat ein anderer Fisch das Maul geöffnet, als schnappe er nach Luft, so nennt man diese Thiere dann schmachtend (F. pamé), z. B. der schmachtende rothe Adler der de Saqueville, der schmachtende goldene Delphin d. Comberonde (E. p. 132).“

Christian Samuel Theodor Bernd, 1849[6]

Bernd differenziert 1849 demnach zwischen einer Delphinfigur und einer Fischfigur im allgemeinen Sinn: Hat eine (gemeine) Fischfigur ein offenes Maul, soll sie mit dem Terminus „schmachtend“ beschrieben werden (unabhängig davon, ob sie Zähne/Augen zeigt oder nicht und ob sie in einer Farbe oder mehreren Tinkturen erscheint); der Terminus „schmachtend“ kann aber nach Bernd bei einer Delphinfigur auch synonym zum Ausdruck „abgestanden“ genutzt werden:

„schmachtend (französisch pamé, spanisch pasmado), abgestanden, wenn er (der Delphin) das Maul offen hat und wenn er ganz von einer und derselben Farbe und nicht Auge und Zähne zeigt.“

Christian Samuel Theodor Bernd, 1849[6]

1889 vereinfacht Gritzner die Erläuterungen von Bernd und bringt sie auf folgende simple Formel:

„schmachtend (altdeutsch)
= vom Adler ohne Augen
= vom Delphin ohne Zunge, mit aufgesperrtem Maul und geschlossenen Augen“

Siebmacher/Gritzner (1889)[8]

Querfurth kritisiert bereits 1872 den Ausdruck „schmachtend“ auf das Heftigste und reiht ihn in eine Reihe „jener verschrobenen und praktisch gar nie und nirgends zu verwerthenden Ausgeburten pseuydo-heraldischer Scribenten“ ein:

Schmachtend nennt man den Delphin, wenn er keine Zunge hat, das Maul aufsperrt und die Augen schließt. Das ist auch so ein Französischer Luxus!--
Dauphin (also redend), desgleichen Forez --: in Gold ein blauer schmachtender Delphin. -- Ein Beispiel aus dem Deutschen Wappenwesen für Possen dieser Art zu finden, dürfte schwer halten, obschon die Möglichkeit der Existenz eines derartigen süssen Ungethümes auch für Deutschland hiermit noch keineswegs vorlaut geläugnet werden soll. -- Martin Schrot bildet den Delphin überhaupt mit dem Rüssel und den Hauzähnen eines Elephanten ab.“

Curt Oswalt Edler von Querfurt (1872)[1]

Belebt

Den Ausdruck „belebt“ bestimmt Bernd 1849 explizit für eine ganz spezielle Delphinfigur:

belebt (französisch vif, spanisch vivo Av. 1, 346) heißt der Delphin, wenn er mit geschlossenem Maule, sein Auge, die Zähne, Bart, Kamm und Ohren von anderer Farbe zeigt;“

Christian Samuel Theodor Bernd, 1849[6]

Gritzner referenziert auf Bernd:

belebt = braucht Bernd vom Delphin, wenn Augen und Zähne sichtbar, Bart, Kamm und Ohren von anderer Färbung als der Körper und das Maul geschlossen ist.“

Siebmacher/Gritzner (1889)[8]

Querfurt, Sacken u. a. verallgemeinern den Gebrauch des Ausdrucks „belebt“. Der Terminus soll nicht mehr nur für Delphinfiguren gelten, sondern für jede Fischfigur. Sie verstehen den Terminus „belebt“ als Gegenwort zum Ausdruck „abgestanden“:

Belebt beliebt man einen Fisch zu nennen, wenn der das Maul zumacht (..)“

Curt Oswalt Edler von Querfurt (1872)[1]

„(..) In welcher Stellung werden die Fische in der Heraldik dargestellt (..) belebt, mit geschlossenem Maul (..)“

Eduard Freiherr von Sacken: 1893[2]

Kritik der vorhandenen Bestimmungen

Auf dem Gewand das Wappen von Anne d'Auvergn

Über der zeitgenössischen Kritik hinaus sind die zuvor genannten Kunstausdrücke (abgestanden, schmachtend, belebt) für eine systematische heraldische Terminologie unbrauchbar, weil mit ihnen nicht alle heraldischen Möglichkeiten der Darstellung eine Delphin-/Fischfigur erschöpfend und konsistent beschrieben werden können. Beispielsweise erscheinen im Gewand von Anne d'Auvergn zwei Delphine, beide mit geschlossenem Maul (also ohne sichtbare Zähne), beide mit Bart und Kamm in gleicher Farbe, der eine mit einem offenen Auge, der andere mit einem eher „zusammengekniffenen“ Auge. Die o. g., veralteten Ausdrücke reichen in diesem Fall nicht aus, um die Figuren adäquat, nachvollziehbar und konsistent zu beschreiben.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Querfurt, Curt Oswalt Edler von: Kritisches Wörterbuch der heraldischen Terminologie. Nördlingen: Beck. 1872. Neudruck: Wiesbaden: M. Sändig. 1969. Seite: III, 2, 16.
  2. 2,0 2,1 2,2 Sacken, Eduard Freiherr von: Katechismus der Heraldik. Grundzüge der Wappenkunde. Leipzig. 1893. S. 69
  3. Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Bibliographisches Institut, Mannheim/Wien/Zürich/Leipzig 1984, ISBN 3-411-02149-7; 2. unveränderte Aufl. mit dem Untertitel Von Apfelkreuz bis Zwillingsbalken, Battenberg, Regenstauf 2006, ISBN 3-86646-010-4; 3. Aufl. 2011, ISBN 978-3-86646-077-5, S. 17, 59.
  4. Georg Scheibelreiter: Heraldik. Oldenbourg Verlag, Wien 2006, ISBN 3-7029-0479-4, S. 61.
  5. Georg Scheibelreiter: Wappen im Mittelalter. Primus Verlag; Imprint der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft [WBG], Darmstadt 2014, ISBN 978-3-86312-025-2, S. 91.
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 Bernd, Christian Samuel Theodor: Die Hauptstücke der Wappenwissenschaft: Die allgemeine Wappenwissenschaft in Lehre und Anwendung : nach ihren Grundsätzen in Europas Ländern aus den Quellen dargestellt, und mit Tausenden von Beispielen wirklicher Wappen aus jenen Ländern ..., Band 2. 1849. S. 196, 201
  7. Bernd, Christian Samuel Theodor: Handbuch der Wappenwissenschaft in Anwendung und Beispielen von wirklich geführten Wappen: Mit 13 Tafeln Abbildungen. T. D. Weigel. 1856. S. 47.
  8. 8,0 8,1 8,2 J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 191, 202, 296