Gestümmelt

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Unterhalb gestümmelter Adler (Wappen Landkreis Heilbronn)

Gestümmelt (französisch mutilé; englisch mutilated) und verstümmelt (französisch trunque; englisch truncated) oder Stümmelung sind im Wappenwesen ungenaue, vielschichtige und älterere Fachausdrücke, die für Wappenfiguren (insbesondere für gemeine Figuren) verwendet werden, wenn ihnen im Vergleich zu ihrer „normalen“ Beschaffenhheit ein oder mehrere zugehörige Teile fehlen oder diese „deformiert“ sind.

Bei Verwendung der Ausdrücke in einer Wappenbeschreibung sollte stets präzise angezeigt werden:

  • an was eine betreffende Figur gestümmelt ist, das heißt, was ihr fehlt[1], zum Beispiel ohne Schnabel, ohne Füße, ohne Beine, ohne Arme, ohne Kopf, ohne Zähne, ohne Schnabel, ohne Klauen, ohne Krallen, ohne Zunge, ohne Hörner, ohne Schwanz, ohne Unterteil, ohne Äste, ohne Wurzeln und so weiter.
  • in welcher Art, an welcher Stelle und in welcher Anzahl eine betreffende Figur „verformt“ ist, zum Beispiel oben zweimal ausgerissen, unten einmal abgeschnitten oder ähnliches.

Darstellung

Bei gestümmelten Figuren müssen nicht nur ein Körperteil oder alle möglichen Körperteile gleichzeitig fehlen. Sämtliche Kombinationen von Verstümmelungen sind möglich, wobei jede einzelne Verstümmelung präzise blasoniert werden sollte.

Verstümmelungen von Pflanzenfiguren

Gestümmelte Lilie
(=Gleve, heraldische Lilie ohne Unterteil, in WBO, Nr. 2712-789)

„Der Ausgangspunkt der Verwendung (des Ausdrucks „gestümmelt“ -- Anm. der Red.) liegt im Pflanzenreich“[2].

  • Ein „gestümmelter Baum ist in der Heraldik gewöhnlich eine Baumfigur ohne Äste, allenfalls „mit Aststummeln/Aststümpfen“ respektive „mit ÜberwallungenW-Logo.png“ (Beulen, Knorren, Knoten oder ähnlichem).
  • Ein „gestümmelter Ast ist in der Heraldik gewöhnlich eine Astfigur ohne Blätter, ohne Stamm und ohne dass lange oder ausgewachsene Äste/Zweige aus ihm weiter verästelnd entspringen.

Der Terminus „gestümmelt“ kann die Schadensbereiche (Ast-/Zweigstummel, Ast-/Zweigstümpfe, Beulen, Knorren, Knoten, Zanken, Wulste) der Baum-/Astfigur charakterisieren, wobei gegebenenfalls die Anzahl, die Seite und die Art der Schadensbereiche spezifiziert werden. Beispielsweise ist ein „oben zweimal und unten einmal gestümmelter Ast“ als Ast mit ingesamt drei Stummeln oder Wulsten (Astkragen) aufzureißen; ein Baum mit „gestümmelten hervorragenden Ästen“ erscheint beispielsweise mit vergleichsweise langen Aststummeln, ein „knorrig gestümmelter Baum“ dagegen mit kurzen. Treiben aus den gestümmelten Pflanzenfiguren Neutriebe, Blätter, Früchte oder ähnliches, sind diese zu melden.

Verstümmelungen von Vogelfiguren

Einige Heraldiker wie Maximilian Gritzner erwähnen die Verwendung des Ausdrucks „gestümmelt“ vorwiegend im Zusammenhang mit Vögeln, denen Schnabel, Füsse/Fänge und/oder Flügel fehlen:

Gestümmelt = Von Vögeln ohne Schnabel und Füsse“

Siebmacher/Gritzner (1889)[3]

Sie denken dabei vermutlich an die „gestümmelten Vögel“, die in der französischen Heraldik stark verbreitet sind und heute teilweise mit ihren Eigennamen beschrieben werden. Zu diesen Vögeln zählen:

Eigenname Bedeutung Beispiel
HW Gtk-go-forward-ltr.png Hauptartikel: Alérion
Gestümmelter Adler, kleine Adler, Stümmeladler: Ursprünglich nur ohne Fänge, später auch ohne Fänge und Schnabel
Drei Alérions
HW Gtk-go-forward-ltr.png Hauptartikel: Merlette
Gestümmelte, entenartige Grundform, teilweise auch „gestümmelte Amsel“ genannt: Ohne Schnabel und ohne Entenfüsse
(französischsprachig und rheinisch geprägte Heraldik)
Merlette
HW Gtk-go-forward-ltr.png Hauptartikel: Martlet
Schwalbenartige Grundform, hier in schwarzer Tinktur: Ohne Füße, verkümmerter Schnabel
(englischsprachig geprägte Heraldik)
Martlet
Alouettes (Gestümmelte) Lerche: Ohne Füße
Feldlerche

Verstümmelungen von Tierfiguren

Untere Hälfte eines aufgerichteten Löwen (Wappen derer von KuhmannW-Logo.png im Wappenbuch des Westfälischen Adels)

Wenn eine Tierfigur als gestümmelt blasoniert wird, ist gewöhnlich das zugehörige fehlende Körperteil (Zähne, Zunge, Klauen, Füße, Schwanz) anzugeben (zum Beispiel: „Löwe ohne Kopf“). Viele heraldische Tierverstümmelungen (z. B. tierische Oberkörper ohne Vorderfüsse, das heißt nur mit verlängertem Hals) können treffender durch ein Morphem wie -„rumpf“ oder ähnlich beschrieben werden (z. B.: „Löwenrumpf“, „Steinbockrumpf“, „Widderrumpf“).

Verstümmelungen von Menschfiguren

Viele menschliche Figuren sind im Oberwappen wachsend und werden gestümmelt, oft dann ohne Arme (zum Beispiel die Mohrin im Oberwappen der Pappenheimer oder der Haller von Hallerstein). Geck ist ein veralteter Ausdruck für einen menschliche Oberkörper ohne Arme (Rumpf) in der Helmzier.

Synonyme, Ersatzausdrücke

Für viele „Verstümmlungen“ gibt es in der Heraldik treffendere oder eindeutige Ausdrücke, so dass die Bezeichnung „gestümmelt“ in einigen Fällen überflüssig ist.

Ausdruck Bedeutung
geschändet Sind einem Hund beispielsweise Ohren und Schwanz gestümmelt, so wird das als gestümmelt oder „geschändet“ blasoniert.
HW Gtk-go-forward-ltr.png Hauptartikel: kopflos
Figuren ohne Kopf; beispielsweise ist ein „am Kopf gestümmelter Adler“ einfach ein „Adler ohne Kopf“ oder eine „kopfloser Adler“
Verkürzt,
abgeschnitten
Ein „gestümmeltes“ Kreuz wird als „abgeschnitten“ oder „verkürzt“ beschrieben.
Ungeziert Ein gestümmeltes männliches Wappentier, wird als „ungeziert“ beschrieben; beispielsweise ist ein „kastrierter“ beziehungsweise männlicher Löwen ohne Mannheit ein „ungezierter Löwe“.

Literatur

  • Johann Simon Beckenstein: Kurze Einleitung zur Wappenkunst und der Art des Blasonierens, Kaiserliche Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1731

Einzelnachweise

  1. Querfurt, Curt Oswalt Edler von: Kritisches Wörterbuch der heraldischen Terminologie. Nördlingen: Beck. 1872. Neudruck: Wiesbaden: M. Sändig. 1969. Seite 51.
  2. Blason ville fr Garidech (Haute-Garonne).svg Lemma gestümmelt. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
  3. J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 245