Schoß (Heraldik)
Die Grundbedeutung des Ausdrucks Schoß (auch Schoss, Schoos, Schosz oder ähnlich; von mittelhochdeutsch „schōz, schōze“, althochdeutsch „scōz“) ist: „Spitze“, „Winkel“, „Ende“[1]. In der Alltagssprache und in der Heraldik ist „Schoß“ aus historischen Gründen ein uneinheitlich verwendeter und sehr vielschichtiger Begriff. Im Zusammenhang mit dem Wappenwesen respektive der heraldischen Literatur kann man grob zwischen fünf Bedeutungskomponenten des Ausdrucks unterscheiden, nämlich „Schoß“ ..
- .. als obsolet gewordener Begriff (Begriffsverlust)
- .. als allgemeines Synonym für den Ausdruck „Ständer“ (Begriffsgleichsetzung)
- .. als spezielles Morphem für eigentümliche, spitzzulaufende/keilförmige Flächen im Wappenschild oder Feld (ist nur bei der Benennung von besonderen Heroldsbildern gebräuchlich.)
- .. als Attribut einer sitzenden gemeinen Figur (Beschreibung)
- .. als Teil der Ritterrüstung
„Schoß“ als obsolet gewordener Begriff
In der heraldischen Literatur zu Ende des 19. Jahrhunderts wird der Ausdruck „Schoß“ teilweise für überholt und überflüssig gehalten.
„(..) der Ausdruck „Schoß“ ist veraltet und heute unverständlich.“
Diese Bewertung deckt sich aber nicht mit der heraldischen Praxis. Ausdrücke wie „auf dem Schoß“, „Unterschoß“, „Oberschoß“ finden sich bis heute mehr oder weniger häufig in Wappenbeschreibungen.
„Schoß“ als Synonym für „Ständer“
In einigen heraldischen Werken der Papierheraldik wird der Ausdruck „Schoß“ mit dem „Ständer“ gleichgesetzt. Die Gleichsetzung erfolgte ursprünglich rein pragmatisch in Hinblick auf die dreieckige Form einer Figur oder auf die Flächenausnutzung eines Heroldsbildes im Schild/Feld:
„(..) ein drey-Ecke / sonst Ständer oder Schoß genennt (Figur 13.)“
„Die Vierung besetzt gemeinlich den vierten, die Spitze den dritten und der Ständer oder Schoß den achten Theil des Schildes (..)“
Im 18., 19. Jahrhundert, teilweise bis heute werden die allgemeinen, eher vagen Bedeutungen „ein Dreieck“, „der achte Teil“ für den Ausdruck „Schoß“ (= Ständer) konkreter gefaßt. Ein „Schoß = Ständer“ bezeichnet demnach:
- entweder: den rechten oberen Flankenständer (WBO-Nummer 0873)
- oder: alle acht einzelnen Teile einer Ständerung (das sind die WBO-Nummern 0871 bis 0878)
„i) Ständer entsteht, wenn man einen Platz des geständerten Schildes abgesondert darstellt, besteht also aus einer halben, aus der Oberecke hervorkommenden Diagonale, welche an eine, gegen diese gezogene quere od. senkrechte Linie in des Schildes Mitte stößt und steht ordentlich in der rechten Oberecke (..)“
„(.. so nennt man diese Theilung die Ständerung, spricht vom „geständertem Schilde“ und benennt die 8 einzelnen Theile „Ständer“.“
Heute ist der Ausdruck „Schoß“ nicht mehr als Synonym für „Ständer“ geeignet. Die Wappenbilderordnung und andere heraldische Quellen unterscheiden zwischen spitzzulaufenden, keilförmigen Plätzen im Schild/Feld, die man unter dem Oberbegriff „Schoß“ zusammenfaßt und anderen, die man als Ständer bezeichnet. Der Oberbegriff „Ständer“ ist für Figuren reserviert, die sich unmittelbar aus der idealen achtfachen Ständerung ableiten (beispielsweise werden die Heroldsbilder mit den WBO-Nummern 0871 bis 0878 mit Eigennnamen wie Oberständer, Flankenständer, Unterständer et cetera bezeichnet). Andere Wappenfiguren, die beispielsweise einen Eigennamen mit der Suffix „-schoß“ besitzen, sind nur mittelbar aus der idealen Ständerung abgeleitet oder ergeben sich erst aus Varianten der idealen Ständerung.
„-schoß“ als spezifisches Morphem
Das Morphem „-schoß“ wird seit Gritzner (1889) und in der neueren Heraldik nur bei jenen Figuren verwendet, die nicht von der idealen, achtfachen Ständerung unmittelbar abgeleitet sind. Man entwickelt die Form der Schoßfiguren aus anderen Grundformen, zum Beispiel aus besonderen Ständerungen (Ständerung zur Rechten oder zur Linken) oder aus Heroldsbildern wie den Keil, der Spitze oder ähnlichem.
Maximilian Gritzner beschreibt die Ableitung der Figur „Schoß“ wie folgt:
„Schoss: Nimmt man einen der aus einer der letzgenannten Ständerungen (Figur 41. und Figur 42. -- Anmerkung der Redaktion) entstandenen einzelnen Theile heraus und setzt ihn allein in ein Feld, so heißt ein solcher Theil, welcher stets von 2 schrägen Linien (deren ein vom Ober- respektive Untereck, die andere von der Mitte einer der Seitenlinien des Schildes ausgeht) begrenzt wird: ein Schoss.
Dieser Schoss hat nur die Hälfte der Basis einer Schrägspitze, von welcher er sich auch durch die Richtung unterscheidet, nach der sein Gipfel zeigt, denn letzterer geht niemals in eine der Schildecken, sondern in den Winkel, welche die den Schildfuß respektive das Schildhaupt abtheilende (gedachte) Linie mit einer der Schildseiten bildet.“
Zu den Wappenfiguren, die das Morphem „-schoß“ im Eigennamen führen, gehören beispielsweise die Ober- und Unterschöße mit den WBO-Nummern 0521 bis 0524. Diese ähneln zwar den klassischen Ständern (WBO-Nummern 0871 bis 0878), den Eckkeilen, Seitenkeilen und ähnlichen Figuren, unterscheiden sich aber gleichzeitig evident von diesen.
Rechter Unterschoß
Rechter Unterschoß | ||
Lage | Die Basis des Heroldsbildes nimmt im Ansatz grob das heraldisch linke Obereck ein, geht aber nicht von der Schildecke aus, sondern startet unterhalb des Schildwinkels. Die Figur folgt im Gegensatz zu einem Eckkeil nicht der Schilddiagonalen. | WBO-Nr.: 0521 |
Ausrichtung | Die Spitze des rechten Unterschosses beziehungsweise ihr „Gipfel“ zeigt abwärts zum rechten Seitenort. Es gib einen Ermessenspielraum, wo genau der Gipfel den rechten Schildrand im Seitenort berührt. Empfohlen wird in etwa der Winkel eines gedachten Schildfußes oder die Mitte des Schildes. | |
Beispiel: |
– Siebmacher/Gritzner (1889)[7] |
1889: In Silber ein rechter roter Unterschoß (nach Gritzner) |
Anmerkung | frz.: pile mouvant du flanc senestre en chef et aboutissant au le milieu du flanc dextre; engl.: pile issuing from sinister flank chief to a point beetween mid dexter flank and dexter base |
Linker Unterschoß
Linker Unterschoß | ||
Lage | Die Basis des Heroldsbildes nimmt im Ansatz grob das heraldisch rechte Obereck ein, geht aber nicht von der Schildecke aus, sondern startet unterhalb des Schildwinkels. Die Figur folgt im Gegensatz zu einem Eckkeil nicht der Schilddiagonalen. | WBO-Nr.: 0522 |
Ausrichtung | Die Spitze des linken Unterschosses beziehungsweise ihr „Gipfel“ zeigt abwärts zum linken Seitenort. Es gib einen Ermessenspielraum, wo genau der Gipfel den linken Schildrand im Seitenort berührt. Empfohlen wird in etwa der Winkel eines gedachten Schildfußes oder die Mitte des Schildes. | |
Beispiel: |
– Siebmacher/Gritzner (1889)[7] |
1889: In Silber ein linker roter Unterschoß (nach Gritzner) |
Anmerkung | frz.: pile mouvant du flanc dextre en chef et aboutissant au le milieu du flanc senestre; engl.: pile issuing from dexter flank chief to a point beetween mid sinister flank and sinister base |
Rechter Oberschoß
Rechter Oberschoß | ||
Lage | Die Basis des Heroldsbildes nimmt im Ansatz grob das heraldisch linke Untereck ein. Die Figur folgt im Gegensatz zu einem Eckkeil nicht der Schilddiagonalen. | WBO-Nr.: 0523 |
Ausrichtung | Die Spitze des rechten Oberschosses beziehungsweise ihr „Gipfel“ zeigt auf einen Punkt schräg aufwärts am rechten Schildrand zwischen rechtem Seitenort und rechtem Obereck. | |
Beispiel: |
– Siebmacher/Gritzner (1889)[7] |
1889: In Silber ein rechter roter Oberschoß (nach Gritzner) |
Anmerkung | frz.: pile mouvant du flanc senestre en pointe et aboutissant au le milieu du flanc dextre; engl.: pile issuing from sinister base to a point beetween dexter chief and mid dexter flank |
Linker Oberschoß
Linker Oberschoß | ||
Lage | Die Basis des Heroldsbildes nimmt im Ansatz grob das heraldisch rechte Untereck ein. Die Figur folgt im Gegensatz zu einem Eckkeil nicht der Schilddiagonalen. | WBO-Nr.: 0524 |
Ausrichtung | Die Spitze des linken Oberschosses beziehungsweise ihr „Gipfel“ zeigt schräg aufwärts auf einen Punkt am linken Schildrand zwischen linkem Seitenort und linkem Obereck. | |
Beispiel: |
– Siebmacher/Gritzner (1889)[7] |
1889: In Silber ein linker roter Oberschoß (nach Gritzner) |
Anmerkung | frz.: pile mouvant du flanc dextre en pointe et aboutissant au le milieu du flanc senestre; engl.: pile issuing from dexter base to a point beetween sinister chief and mid sinister flank |
„Schoß“ als Beschreibung von Figuren
Der Ausdruck „auf dem Schoß“ ist Teil der heraldischen Terminologie und beschreibt den Umstand, daß sich bei einer sitzenden gemeinen Figur eine andere Figur auf der durch Unterleib und Oberschenkel gebildete Körperpartie befindet (zum Beispiel: Muttergottes mit Jesuskind auf dem Schoß).
„Schoß“ als Rüstungsteil
Im Mittelalter bezeichnete der Ausdruck „Schoß“ ein Rüstungsteil, das den Unterleib, die Hüfte, und Oberschenkel bedeckte.[8]
Weblinks
Bernhard Peter: Dreiecksformen: Spitzen, Keile, Ständer etc. - Teil 1
Einzelnachweise
- ↑ * Lemma Schosz. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
- ↑ Sacken, Eduard Freiherr von: Katechismus der Heraldik. Grundzüge der Wappenkunde. Leipzig. 1893. S. 44. §75
- ↑ Dufrène, Maximilian: Rudimenta geographica, sive brevis, facilisque methodus iuventutem orthodoxam notitia geographica imbuendi ...: Nebst: Appendix de arte scutaria sive heraldica. Anhang von der Heraldischen oder Wappen-Kunst. Wolff. 1729. S. 15.
- ↑ Putzische Buchhandlung: Grundsätze Der Heraldik oder Wapenkunst: In welchen Durch Blasonirung der Wapen angewiesen wird, wie man sich der Lehrsätzen gebrauchen soll; Wobey das Römische Reich in zehen Kreise abgetheilt ist: Zu nützlichem Gebrauch der studierenden edlen Jugend zusammengetragen; Mit Figuren. Kön. 1779. S. 8.
- ↑ Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 513-514.
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 43.
- ↑ 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 57.
- ↑ * Lemma Schosz. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).