Libelle (Wappentier)
Die Libelle (trivial auch Wasserjungfer, Schleifer, Augenstecher/-bohrer, Kehlstecher, Glaser, Schneider, Teufelsnadel/-bolzen, Pferdetod oder ähnlich genannt; lateinisch libellula, gelehrte deminuierende Bildung zu lateinisch lībella, Deminutivum von lateinisch lībra ‚Blei-/Wasserwaage‘; französisch libellule oder doublet[1]; englisch dragonfly oder volkstümlich damselfly; luxemburgisch Siwestécher ‚Siebenstecher‘)[2][3][4] ist in der Heraldik eine seltene gemeine Figur.
Darstellung und Geschichte
Grundsätzlich ist zwischen einer historischen Libellenfigur (die Autoren der heraldischen Literatur unter anderem als „Doublet“ bezeichnen) – und einer Libellenfigur der neueren Heraldik zu unterscheiden. Wann und von wem zum ersten Mal ein Wappen mit einer Doublet-/Libellenfigur geführt wurde, ist unklar beziehungsweise nicht ausreichend erforscht.
Doublet
Etliche heraldische Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts geben als Referenzwappen mit Libellenfiguren das Wappen der französischen Familie Doublet de Persan an, in dem sogenannte „Doublets“ (≈ „Insekten mit doppelten Flügeln“) erscheinen,[5][6][7][8] die man im Französischen volkstümlich auch demoiselle ‚Fräulein, Wasser-/Brautjungfer‘ oder damoiselle ‚Edel-/Burgfräulein, Maid‘ nennt. Die Verknüpfung von Libellenfiguren mit Doublet-Wappen ist mehrfacher Hinsicht problematisch.
Einerseits bestimmen Heraldiker den Ausdruck „doublet“ nicht einheitlich: Nach einigen steht das Wort zwar für Libelle, nach anderen jedoch für Schmetterling und wieder andere verbreiten, dass es sich bei der Doubletfigur um eine Mücke handelt.
doublet | ||
≈ Libelle | zum Beispiel 1857 nach Johannes Baptista Rietstap, 1901 nach Alphonse O'Kelly de Galway und 1996 nach Jürgen Arndt/Werner Seeger[6][7][8] | |
≈ Schmetterling | zum Beispiel 1849 nach Christian Samuel Theodor Bernd und 1889 nach Maximilian Gritzner[5][9] | |
≈ Mücke | zum Beispiel 1846 nach Ferdinand von Biedenfeld, 1885 nach Simon de Boncourt und 1899 nach Duhoux d'Argicourt, 1899[10] [11][12] |
Tatsächlich kann der Ausdruck „doublet“ als großzügiger Sammelname für viele historische Wappenfiguren (darunter sicherlich die „Libellenfigur“, aber auch die „Schmetterlingsfigur“ et cetera) Sinn machen, wo der zugrundeliegende Insekten-Archtyp nicht überliefert oder nicht evident ist beziehungsweise nicht exakt bestimmt werden kann. Beispielsweise erscheinen in dem Armorial général de France etliche Wappenaufrisse mit heraldisch-stilisierten, schwer bestimmbaren Insektenfiguren, die man unter dem vagen Sammelbegriff „doublet“ (≈ ‚Insekt mit doppelten Flügeln‘) zusammenfassen könnte. Da die gegebenen biologischen Realtypen in der heutigen Zeit hinreichend bekannt und wissenschaftlich erforscht sind, ist es dagegen bei zeitgenössischen Wappen mittlerweile möglich, die Libellen-, Schmetterlings- und Mückenfiguren sowohl in der Blasonierung als auch in der stilisierten heraldischen Gestaltung signifikant voneinander abzugrenzen, um Verwechslungen zu vermeiden (vgl. nachstehend den Abschnitt → Libelle).
Andererseits propagieren einige Heraldiker irreführend, dass die historische Doubletfigur stets „im Profil“ ([..] „von der Seite gesehen“) im Wappen erscheint.[7][9][10][11][12] Faktisch findet man historische Doublet-Figuren jedoch
- sowohl in der Auf-/Draufsicht (mit zwei ausgebreiteten Flügeln auf der einen und zwei weiteren auf der anderen Seite des Figurenkörpers)
- als auch in der Seitenansicht (gewöhnlich von rechts, mit vier Flügeln über dem Figurenkörper; in der neueren Heraldik manchmal auch nur mit zwei Flügeln)
Problematisch ist weiter, dass es zwar seit dem Ende des 13. Jahrhunderts ein normannisches Adelsgeschlecht namens Doublet gab, doch kann man davon ausgehen, dass dieses Geschlecht kein Wappen mit „Libellenfigur(en)“ führte, welches sich als Referenzwappen eignen würde. Libellen sind bis ins 15. Jahrhundert als Wappenfiguren generell nicht gebräuchlich; sie gehören – wenn überhaupt – frühestens ab der Neuzeit beziehungsweise an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zum Wappenwesen. Wenn das ehemalige Doublet-Geschlecht bereits in den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts ausgestorben ist, wie die Société héraldique et généalogique de France im Jahre 1887 vermutet, wird es wer weiß was im Wappen geführt haben. Neuere Familien, die den gleichen oder einen ähnlichen Namen wie das ausgestorbene Doublet-Geschlecht haben (nach dem Armorial général de France beispielsweise die Doublet de Persan), konnten bis 1887 keine Beweise vorlegen, dass sie mit den Namensvettern aus der Normandie in heraldisch-genealogisch in Verbindung stehen.[13] Ob die jüngeren Geschlechter explizit ‚Libellenfiguren‘ in ihre Wappen führten bzw. führen – oder aber in Anspielung auf ihren Familiennamen die unbestimmten Doubletfiguren (≈ „Insekten mit doppelten Flügeln“), ist unklar respektive von Einzelfall zu Einzellfall festzustellen. Interessanterweise findet man Doubletfiguren im Armorial général de France auch bei Familien, die nicht den Namen „Doublet“ tragen.
Douplet-/Demoiselle-Wappenfiguren (ca. 1696 bzw. 1701-1800; nach Armorial général de France; Auswahl) | ||
In Draufsicht, schrägrechts „fliegend“ | ||
In Draufsicht, senkrecht gestellt (eine Art Fliege, genannt Demoiselle) | Im Profil, schrägrechts „fliegend“ |
Libelle
Die Libellenfigur ist nicht einer bestimmten oder besonderen natürlichen Libelle (odonata) der ca. 6323 bekannten Libellenarten (Stand 2019)[15] nachgebildet; vielmehr lehnt sich die Figur in der neueren Heraldik an ein Idealbild der gleichnamigen gegebenen biologischen Realtypen an. Grundgestalt der heraldischen Figur ist ein langgestreckter, schlanker Insektenkörper mit zwei Vorder- und zwei Hinterflügeln und mit großen, knopfförmigen Facettenaugen, die teils in der Kopfmitte zusammenstoßen (nach dem Vorbild der Großlibellen), teils an der Seite des Kopfes liegen, ohne sich oben einander zu berühen (nach dem Vorbild der Kleinlibellen).
Die Darstellung der Figur erfolgt gewöhnlich planar beziehungsweise in Auf-/Draufsicht mit vier ausgebreiteten Flügeln (je ein Flügelpaar rechts, eines links des Figurenkörpers). Eine Libellenfigur „in Seitenansicht“ („im Profil“, wie beispielsweise im Wappen von Foucrainville) sollte in der Wappenbeschreibung ausdrücklich zur Meldung gebracht werden. Sowohl in Aufsicht als auch in Seitenansicht sind die Libellenfiguren nach den Regeln der Heraldik beziehungsweise weitgehend heraldisch stilisiert zu gestalten, in der neueren Heraldik jedoch stets in einer eher natürlichen Form, um die Wiedererkennbarkeit der Figur gegenüber anderen Insektenfiguren zu intensivieren.
In der Normalform erscheint die Libellenfigur senkrecht gestellt, mit dem Libellenkopf und, falls vorhanden, mit den vier vorderen Beine zum oberen Schildrand gerichtet (die zwei hinteren Beine, falls vorhanden, sind in diesem Fall dagegen zum unteren Schildrand gerichtet). Andere Stellungen der Gesamtfigur sollten in einer Wappenbeschreibung angezeigt werden (zum Beispiel „schrägrechte Libelle“, wenn der Libellenkopf in etwa in die rechte obere Schildecke zeigt).
Die Autoren der Wikipedia behaupten 2023 unrichtig, dass bei der Darstellung einer Libellenfigur Details wie Beine oder Antennen, wenn vorhanden, bei der Blasonierung „zu erwähnen sind“;[16] in Wirklichkeit beziehungsweise in der heraldischen Praxis finden sich etliche Wappen und Wappenbeschreibungen, in denen die Beine und Antennen von Libellen nicht ausdrücklich festgelegt wurden, diese aber trotzdem in den dazugehörigen Wappenaufrissen vorhanden sind.[17] Daraus folgt, dass die Nicht-Darstellung/Darstellung der genannten Details grundsätzlich der künstlerischen Freiheit des aufreissenden Wappenkünstlers obliegen, es sei denn, das Vorhandensein (bzw. das Nicht Vorhandensein) von Beinen oder Antennen wurde ausdrücklich in der Blasonierung eines Wappen determiniert. Das gleiche gilt für andere Details einer Libellenfigur, die, wenn nichts anderes gemeldet ist, je nach den räumlichen Gegebenheiten beziehungsweise nach der Gesamtharmonie des jeweiligen Wappenaufrisses gestaltet sein können:
- teils mit einem segmentierten Hinterleib; teils mit einem unsegmentiertem Hinterleib
- teils mit den für die wirklichen Libellen obligatorischen zehn Hinterleibsegmente; teils aber mit einer anderen Anzahl der Hinterleibssegmente (acht, neun, zwölf beziehungsweise mehr oder weniger)
- teils mit einer sogenanntem Greifzange am Hinterleib [Hinterleibszange]; teils ohne diese
- teils mit monochrom-heraldisch eingefärbten Flügeln; teils aber auch mit Flügeln, die zusätzlich mit einer (schwarzen) Flügeladerung durchzogen sind.
Libellenfiguren können in allen heraldischen Farben in einem Wappen erscheinen, kommen in der Praxis jedoch vor allem in Gold und Silber vor (zuweilen in Schwarz, Rot, Grün oder Naturfarbe, so gut wie nie in Blau). Sind Teile wie die Augen, Flügel et cetera der eigentlichen Libellenfigur andersfarbig tingiert, kann man die farblichen Abweichungen in der Wappenbeschreibung in folgender Form melden (sie sind dann bei jedem Aufriss des Wappens zu berücksichtigen):
[Farbname 1] Libelle mit [Farbname 2] [Name des Körperteils]
(beispielsweise erscheint im Wappen von Unterspreewald eine „schwarze Libelle mit blauen Flügeln“)
Libellenfiguren erscheinen vorwiegend in Einzahl in einem Wappen, können aber auch in einer anderen Anzahl (Drei-, Vierzahl et cetera) vorkommen. Eher selten werden sie als solitäre Hauptfigur dargestellt, meist in Kombination mit anderen Wappenfiguren beziehungsweise als Nebenfigur.
(Nykvarn)
(Kiili)
Schwarze Libelle mit blauen Flügeln (Unterspreewald)
Wappenbilderordnung
- Die Libelle wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Niedere Tiere (Insekten, Amphibien, Fische) und Wassersäugetiere unter der Nr. 3046 aufgenommen.
Paraheraldik
Auch in der Paraheraldik beziehungsweise im Kontext von Militärinsignien, Unternehmenszeichen, Logos, Reenactorwappen/-abzeichen oder ähnlichem ist die Libellenfigur weltweit gebräuchlich.
Emblem der Royal Netherlands Air Force 298 Squadron
Emblem von 4258th Strategic Wing
Zeichen am Hubschrauber Kaman SH-2G Super Seasprite
- New LogoDragonFly(F).jpg
Logo der Dragonfly Industries LLC
- Dragonfly-logo-no-company.png
Zeichen im Zusammenhang mit ORS-Dragonfly-Software
NASA-Insignie für die Crew-4-Mission zur und von der ISS
Abzeichen für die Dragonfly-Mission
Unternehmenslogo von Dragonfly
Unternehmenslogo von Tombow
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Doublet. In: Au Blason des Armoiries – Tous droits réservés. www.blason-armoiries.org, abgerufen am 21. Februar 2023 (französisch, 2005-2016).
- ↑ Duden – Etymologie. Das Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Dudenverlag, 1989
- ↑ „Libelle“, in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, www.dwds.de/wb/etymwb/Libelle, abgerufen am 20.02.2023.
- ↑ Seite „Libellen“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 5. Februar 2023, 02:42 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Libellen&oldid=230551893 (Abgerufen: 24. Februar 2023, 11:00 UTC)
- ↑ 5,0 5,1 Christian Samuel Theodor Bernd: Die Hauptstücke der Wappenwissenschaft. Die allgemeine Wappenwissenschaft in Lehre und Anwendung, nach ihren Grundsätzen in Europas Ländern aus den Quellen dargestellt. Bonn, 1849. S. 77, 210. (Google; S. 77: „Doublet de Persan [E. 6, 327] e. Schmetterling, F. doublet“; beziehungsweise S. 210: „[Schmetterlinge ..] Doublet de Persan“)
- ↑ 6,0 6,1 Johannes Baptista Rietstap: Handboek der Wapenkunde. Gouda, 1857. S. 202 (Google; „De Jufertjes (fr. doublets) komen meestal vliegende voor [..] Doublet de Persan - Frankrijk. In blauw drie vliegende gouden juffertjes, 2 en 1.“)
- ↑ 7,0 7,1 7,2 Alphonse O'Kelly de Galway: Dictionnaire archéologique et explicatif de la science du blason. Bergerac, 1901. S. 181 (Digitalisat; „Doublet: Libellule posée de profil. C'est un insecte ailé nommé vulgairement demoiselle, à cause de sa fine taille. Les Doublet de Persan ont un blason parlant: d'azur, à trois doublets d'or, volants en bande.“)
- ↑ 8,0 8,1 Jürgen Arndt und Werner Seeger (Bearbeiter) mit Wappenskizzen von Lothar Müller-Westphal: Wappenbilderordnung. Symbolorum armorialium ordo. Zit.: WBO - Wappenbilder. Hrsg.: Herold, Verein für Heraldik Genealogie und verwandte Wissenschaften (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch. B). 2., ergänzte und berichtigte Auflage. Band I. Bauer & Raspe, Inh. Manfred Dreiss, Neustadt an der Aisch 1996, ISBN 3-87947-110-X, S. 134–135. Figur 3046. (447 S., zugleich Neubearbeitung des Handbuchs der heraldischen Terminologie von Maximilian Gritzner; Einleitungsband, Abt. B des Neuen Siebmacherschen Wappenbuches, Nürnberg, 1890).
- ↑ 9,0 9,1 Maximilian Gritzner: J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie. Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889/1890. S. 227. Reprint on Demand. Universtitäts- und Landesbibliothek Tirol. 2009. ISBN 3-226-00671-1.
- ↑ 10,0 10,1 Ferdinand von Biedenfeld: Die Heraldik oder Populäres Lehrbuch der Wappenkunde. Weimar, 1846. S. 73 (Google; „Doublet, im Profil erscheinende Mücke“)
- ↑ 11,0 11,1 E. Simon de Boncourt: Grammaire du blason: ou, la Science des armoiries mise à la portée de tous. Paris, 1885. S. 129. (Google; „Doublet, moucheron posé de profil.“)
- ↑ 12,0 12,1 L.-A. Duhoux d'Argicourt: d'après l'Alphabet et figures de tous les termes du blason. Paris. 1899: „DOUBLET. Il est d'usage, en blason, de représenter les insectes de face, et vus de dos ; le Doublet fait exception à cette règle, ce petit moucheron est toujours figuré de profil, et montrant ses doubles ailes éployées.“
- ↑ Société héraldique et généalogique de France: Bulletin de la Société héraldique etʹgenéalogique de France. Paris, 1887. Band 6. Sp. 585-587. (Google)
- ↑ Wappenbeschreibung: „Taillé d’or et d’azur, au chapeau de tenné au panache d’argent brochant, soutenu d’un doublet d’or; à la filière engrêlée de gueules, qui est de Foucrainville dans l’Eure.“
- ↑ Dennis Paulson; Martin Schorr; Cyrille Deliry: World Odonata List (archivierte Kopie; englisch, letzte Bearbeitung: 2021-09-29) (Memento des vom 5. Oktober 2021 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Seite „Libelle (Wappentier)“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 20. Februar 2023, 23:45 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Libelle_(Wappentier)&oldid=2311005 35 (Abgerufen: 28. Februar 2023, 23:54 UTC)
- ↑ Vgl. exemplarisch die Wappenaufrisse/Wappenbeschreibungen Mitchell, Hasler, Velký Luh, Gemeinde Persan sowie Povegliano Veronese.
- ↑ Wappenbeschreibung: „D'azur aux trois demoiselles d'or posées en bande et ordonnées 2 et 1.“