Stier (Wappentier)

Aus Heraldik-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Dieser Artikel behandelt den Stier als Wappentier; andere Rinder sind über Rinder (Heraldik) zu finden.
1890: Stehender, hersehender Stier
(Niederlausitz nach Hugo Gerard Ströhl)
1450-1480: Stierrumpf im Wappen derer von Ringingen[1]

Das Wappentier Stier (auch Bulle genannt; frz.: taureau; engl.: bull) ist in der Heraldik eine gemeine Figur.

Abgrenzung

Die Wappenfigur Stier ist in der neueren Heraldik gewöhnlich dem Idealbild eines „männlichen Hausrinds“ (Bos primigenius taurusW-Logo.png) nachempfunden. Soll im Wappen ein männliches Wildrind (Büffel, Bison, Wisent), ein Urrind (Auerochse) oder ein kastriertes Hausrind (Ochse) im Wappen erscheinen, ist dies in der neueren Heraldik zu melden.

In der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens wurde sowohl in der bildlichen Darstellung als auch in der Wappenbeschreibung („Blason“) nicht nach biologischen oder wissenschaftlichen Kriterien zwischen verschiedenen Rindermotiven unterschieden. Die heraldisch stilisierte „Stierfiguren“ sind nicht einem bestimmten Rind der natürlichen RinderW-Logo.png nachgebildet, sondern lehnen sich an ein Idealbild eines männlichen Rindes an, welches sich von empirisch durchschnittlich gegebenen Realtypen abgrenzt. Querfurt verwirft 1872 mit ironischem Unterton übergenaue Unterscheidungen zwischen verschiedenen heraldischen Rinderdarstellungen:

„(..) aber man geht jedenfalls zu weit, wenn man einen Ochsen oder Stier von dem Büffel dadurch unterscheiden will, dass letzterer einen dicken Haarbüschel zwischen den Hörnern, auch einen breiteren und wüthenderen Kopf haben müsse, als der gemeine Haus- und Stallochse, namentlich, da sich ja nirgends ausgezirkelt findet, wie dick und wie wüthend schon der Kopf des communen Ochsen sein dürfe. Wahrhaftig -- ein mittelalterlicher Herold würde Einem in 's klare Angesicht lachen, der da etwa fragen wollte: „Führen denn die N. N. eigenlich eine Vogtländische neumelke Kuh, oder einen Allgäuer Ochsen, oder aber einen Podolischen Zuchtbullen?““

Curt Oswalt Edler von Querfurt (1872)[2]

Auch Gritzner kritisiert 1889 jene, die allzu konstruierte Unterschiede zwischen der Figur Stier und der Figur Büffel bestimmen:

„(..) Manche wollen den Stier vom Büffel dadurch unterschieden wissen, dass das Gehörn (welches nebst den Hufen gewöhnlich anders wie er und das Feld gefärbt ist und zusammen mit „Waffen" bezeichnet wird) bei letzterem nur einmal (halbmondförmig), beim Stier (Ochsen) aber doppelt (S förmig) gebogen sei. Wir sind indess der festen Ueberzeugung, dass die alten Heraldiker überhaupt nur den Büffelstier (als jagdbares Thier) gemeint haben und nicht den Ochsenstier, unser Hausthier
(..) Den besten Gegenbeweis gegen die oben angedeutete Theorie hinsichtlich der angeblichen Verschiedenheit des Gehörns des Stiers und Büffels in der Heraldik gibt uns die Entwicklung des Helmschmucks der sogenannten Büffelhörner. Dieselben kommen in der ältesten Zeit einfach halbmond-förmig gebogen vor und werden erst seit der Renaissancezeit, unter Beibehalt dieser S-förmigen Form, mit Mündungen abgebildet, was späteren Zopfheraldikern die irrige Ansicht beibrachte, es seien das überhaupt nicht Büffelhörner, sondern "Elefantenrüssel (!)" als welche, sogar mit den beiden Nüsterlöchern, sie abzubilden, man sich nicht entblödete.“

Siebmacher/Gritzner (1889)[3]

In der Regel sind umfangreiche Forschungen oder die Wappenführenden/-stiftenden heranzuziehen, wenn es um die korrekte Interpretation eines Rindermotivs in Wappendarstellungen geht.

Darstellung

1450-1480: Stier/Ochse mit ausgeschlagener Zunge (Wappen der Familie Harscher von Allmendingen, Schwaben)[4]

Die Hauptstellungen der Stierfigur sind schreitend, steigend oder aufgerichtet. Das Motiv sollte stets als rauhes, massives und aggresives Rind mit Gemächt dargestellt werden. Stiere erscheinen gewöhnlich mit einem Ring durch die Nase und einem gehobenen oder zurückgeschlagenen Schwanz; zurückgeschlagen bedeutet dabei, dass er über den Rücken des Tieres in Richtung Kopf zeigt. In der Früh-/Blütezeit des Wappenwesen wird eine Stierfigur zuweilen mit ausgeschlagener Zunge dargestellt, in der neueren Heraldik dagegen fast immer ohne diese.

Stier (Tafel XVI. Figur 27.-32.): Derselbe kommt schreitend, (Wappen der Niederlausitz) stehend und aufgerichtet vor (..) es (dürfte) geboten sein, auch dieses Thier, wo es ganz oder theilweise (als Stierrumpf, als 1/2 Stier mit Nasenring, als Stierkopf im Visir vorkommt, stets möglichst rauh, zottig und wild, also als wirklichen Büffelstier zu zeichnen und als solchen anzusprechen (..)“

Siebmacher/Gritzner (1889)[3]

Der Stier erscheint in allen heraldischen Farben, wird aber bevorzugt in Rot oder Schwarz dargestellt.

Stierrumpf/Stierkopf

Stierrumpf/Stierkopf
 
1889: mit Nasenring (nach Siebmacher)
 
1335-1345: (Wappen derer von HoheneggW-Logo.png)

Stierkopf und Stierrumpf (das ist ein „gestümmelter“ Stier, also nur Hals und Kopf, ohne Vorderbeine) sind gebräuchliche Ausdrücke für Wappenfiguren. Gewöhnlich wird im Wappenwesen weder in der Darstellung noch in der Wappenbeschreibung zwischen einem Halstück (Stierkopf mit langem Hals bzw. Stierrumpf) und einem Kopfbild (nur Stierkopf, ohne Halsansatz) differenziert. Die genaue Darstellung erfolgt im Rahmen der Gesamtharmonie eines Wappens/Wappeaufrisses und obliegt letzlich der künstlerischen Freiheit.

„(..) Beim Stierrumpf ist die Zunge herausgeschlagen, beim ganzen Stier nur in ältester Zeit.“

Siebmacher/Gritzner (1889)[3]

Stierkopf en face

1450-1480: Stierkopf en face (Wappen der Grafen von Sandizell, Bayern)

Wenn der Kopf des Stieres alleinstehend und frontal im Wappen vorkommt, so nennt man dieses Wappen Stierkopfschild. Grundsätzlich wird eine Stierkopf im Visier beziehungsweise „en face“ (der Stierkopf ist frontal nach vorne gekehrt) und mit glattem Schnitt, wo er vom Körper abgetrennt wurde, dargestellt. Wird der Kopf mit anhängendem abgerissenem Halsfell dargestellt, so ist dies zu melden. Das heraldische Element Kopf ist auf Mecklenburger und Schlesischen Wappen häufig zu finden.

„(..) Ein (Stier)Kopf heisst, wie wir bereits oben beim „Esel" sagten, „Büffelkopf im Visir." Ist unten noch ein Stück des abgerissenen Halsfells zu sehen, so ist die zu melden, indem man das Wort „abgerissen." hinzusetzt, was bedeutet, dass der Kopf nicht vermittelst eines glatten Hiebes abgetrennt, sondern herabgerissen wurde.“

Siebmacher/Gritzner (1889)[3]

Stier-/Büffelhörner

HW Gtk-go-forward-ltr.png Hauptartikel: Büffelhörner

„(..) Wenn auf dem Helme, oder im Schilde ein Paar solcher Hörner ohne Mündung erscheint, so ist dies zu melden, diese z. B. würde man als „geschlossene" bezeichnen; ist ausserdem, wie hier, das Gehörn unten verbunden, indem noch ein Stück Hirnschale daran sitzt, sowie die Ohren, so meldet man solches, z. B. ein „(geschlossenes') Büffelgehörn mit Grind und Ohren“.“

Siebmacher/Gritzner (1889)[3]

Varianten

Buzentaur

Der Buzentaur ist ein Mischwesen aus Mensch und Rind.
Nebenstehendes Beispiel: Buzentaur im Fabelwappen von König Nebukadnezzar (nach Grünenbergs Wappenbuch)
Fabelwappen Nebukadnesar aus Grünenbergs Wappenbuch.jpg

Flügelstier

Eine Besonderheit ist der Flügelstier, der als Stier erscheint, bei dem in Schulterhöhe Flügel angesetzt sind. Er ist das Attribut des Evangelisten Lukas.


Nebenstehendes Beispiel: Flügelstier im Wappen der Familie Lucas

Coat of arms family de Lucas.jpg

Stieradler

Mischwesen aus Stier und Adler
Nebenstehendes Beispiel: Musterwappen
Stieradler.png

Stierlöwe

Mischwesen aus Stier und Löwe
Nebenstehendes Beispiel: Familienwappen Kühbacher
Coat-of-arms-family-de-Kühbacher-01.png

Wappenbilderordnung

Weblinks

Commons: Rinder in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Stier in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Ochsen in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Stierköpfe in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Stierhörner in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Blason: In Blau Kopf und Hals eines goldenen Stieres mit roter Zunge, ebensolchen Hörnern und Nasenring, auf dem Helm mit blau-goldenen Decken der Stierrumpf wachsend.
  2. Querfurt, Curt Oswalt Edler von: Kritisches Wörterbuch der heraldischen Terminologie. Nördlingen: Beck. 1872. Neudruck: Wiesbaden: M. Sändig. 1969. Seite 78 f.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie ( M. Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889.
  4. Blason: In Silber ein schreitender, roter, schwarz gehörnter Ochse. Auf dem Helm mit rot-silbernen Decken der Ochse wachsend.


Muster-Wappenschild-Info.png

Dieser Artikel basiert auf dem Beitrag „Stier_(Wappentier)“ aus der freien Enzyklopädie Wikipedia in der Version vom 4. Juni 2010 (Permanentlink: [1]). Der Originaltext steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation bzw. unter CC-by-sa 3.0 oder einer adäquaten neueren Lizenz. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Autoren verfügbar.