Rettich (Heraldik)

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In der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens ist eine spezielle Wappenfigur, die eigens zur Darstellung von Rettich verwendet wird, nicht gebräuchlich.
Rettich ...
 
faktisch
(Garten-RettichangebotW-Logo.png auf einem Markt in Bayern)
 
in der Heraldik
(Goldene Rettich­wur­zel mit grünen Blättern; Wappen Rätich nach Brief von 1422;[1] Aufriss Siebmacher von 1906)

Rettich (regional Radi; von ahd. ratih und retih; mhd. retich, rettig, ratich; lateinisch rādīx ‚Wurzel, Rettich‘; französisch radis noir; englisch radish) ist in der neueren Heraldik eine seltene gemeine Figur.

Geschichte

ca. 1450-1500: Junge Frau als Schildhalterin eines Wappenschilds, in dem drei Rettichwurzeln (2-über-1) erscheinen (nach dem Meister des HausbuchesW-Logo.png); © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Wann ein Rettichmotiv das erste Mal im Wappenwesen erscheint, ist unklar beziehungsweise nicht ausreichend erforscht. Quellenangaben zur Wappenfigur finden sich im 15./16. Jahrhundert bei bürgerlichen und adligen Familien, die ein Rettichmotiv redend im Wappen führen.

„(..) auch der Rettich (Tafel 24. Fig. 31.) behauptet seinen Platz im Wappen einer gleichnamigen Familie (..)“

„Der Augenschein lehret uns, daß auch Figuren von allerhand Gewächsen, in denen Wappen einen gewissen Platz bekommen. Solcher gestalt sehen wir (..) Rettich (..) und so weiter (..)“

Beispielsweise verleiht der spätere Kaiser Sigismund am 8. November 1422 den Brüdern Lienhart, Sigmund und Ulrich Rätich ein redendes Wappen mit einer goldenen Rettichwurzel mit grünen Blättern.[1] Und in den Beiträgen zur Astronomiegeschichte wird kolportiert, dass sich der Astronom Georg Joachim RheticusW-Logo.png 1548 von Kaiser Karl V. das von seiner Mutter ererbte Wappen[4] hat ändern lassen, die eine gebürtige de Porris, eingedeutscht von Lauchen war, „indem jetzt an die Stelle der drei Lauchstengel drei Rettichwurzeln“ treten, damit sein Gelehrtenname (Rheticus, auch Rhäticus, Rhaeticus, Rhetikus, eigentlich Georg Joachim Iserin) sprechend im Wappen dargestellt wird.[5] Auch die drei rübenwurzelartigen Figuren 2-über-1 in einer Wappenillustration der Meister des HausbuchesW-Logo.png, welches ca. zwischen 1450 bis 1500 entstanden zu sein scheint, deutet man gemeinhin als Rettichfiguren (Titel: Die Frau mit dem Rettigwappen).

Darstellung

Rettich nach Wiener DioskuridesW-Logo.png Kodex auf Blatt 248r[6]
alternative Beschreibung
2013: Zwei pfahlweise gestellte Rettiche mit den Wurzeln nach unten (Traditionswappen Rettich; nach WMH, Nr. 073/11955)
alternative Beschreibung
1994, unten: Goldener Rettich mit ebensolchen Blättern (Familienwappen Rettig; nach WMH, Nr. 122/436)
In Feld 1 und Feld 4: Rettich­wur­zeln (Wappen Friedrich Gottfried RettigW-Logo.png; nach Wappensammlung Weller; 1910/20)

Die Wappenfigur „Rettich“ ist nicht einem bestimmten oder besonderen RettichW-Logo.png der drei bekannten natürlichen Arten nachgebildet. Vielmehr lehnt sich die Figur an ein IdealbildW-Logo.png der gleichnamigen gegebenen biologischen Realtypen an. Figurgrundgestalt ist – heraldisch stilisiert – eine eher runde oder eher längliche rübenkörperartige PfahlwurzelW-Logo.png der gleichnamigen Kulturpflanzen. Die genaue Ausprägung/Form der Figur (eher rund oder eher länglich) wird gewöhnlich nicht in der Wappenbeschreibung gemeldet, sondern obliegt dem aufreissenden Wappenkünstler, ist aber im Rahmen der Gesamtharmonie eines Wappens umzusetzen.

Die Rettichfigur erscheint in der Regel mit heraldisch-stilisierten Laubblättern bzw. krautähnlichem Blattwerk, wobei dieses je nach Wappenaufriss mehr oder weniger borstig behaart, gezähnt, fiederspaltig oder gefiedert dargestellt wird. Die Beblätterung bzw. die genaue Blattanzahl sollte bei der Blasonierung angezeigt werden, insbesondere wenn die Blätter eine andere Farbe als der Rest die Figur haben (zum Beispiel: silberne Rettichwurzel mit zwei grünen Laubblättern). Ist die Blattanzahl in der Wappenbeschreibung nicht ausdrücklich festgelegt, obliegt sie der künstlerischen Freiheit (gewöhnlich erscheinen an einer Rettichwurzelfigur ein bis drei, seltener vier oder fünf Laubblätter). Bevorzugt erscheint der Wurzelteil der Rettichfigur in einer heraldischen Metallfarbe (also Silber oder Gold) und das Blattwerk in Grün oder der gleichen Metallfarbe.

Rettichfiguren werden vorwiegend in Ein-, Zwei- oder Dreizahl in einem Wappen dargestellt (zum Beispiel schräggekreuzt, nebeneinander oder 2-über-1), können aber auch in einer anderen Mehrzahl vorkommen.

Rettichpflanze

Eine Rettichfigur wird im Wappenwesen manchmal nicht als Wurzelfigur dargestellt, sondern als Rettichpflanze mit Blütenstand und vollem Blattwerk. Beispielsweise erscheint im redenden Wappen von RavenelW-Logo.png in Rot eine natürliche Acker-RettichpflanzeW-Logo.png („de gueules à un ravenel au naturel“ – ravenelle, radis ravenelle oder radis sauvage entspricht der Rettichart raphanus raphanistrum).

Rettichblüte

In der neueren Heraldik findet sich Rettich gelegentlich in Form einer ungestielten Rettichblütenfigur mit offenen Blütenblättern in AufsichtW-Logo.png und mit mittig angeordnetem Butzen, der kontrastierend beziehungsweise andersfarbig zu den Blütenblättern tingiert sein kann. Beispielweise ist in der Roland Wappenrolle Perleberg unter der Nummer 81/2014 das Familienwappen Rettig mit einer vierblättrigen Blüte des Ackerrettichs registriert. In der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens ist eine spezielle Wappenfigur, die eigens zur Darstellung einer Rettichblüte verwendet wird, dagegen nicht gebräuchlich.

Rettich als Nebenfigur

1689: Drache, mit den beiden Vorderbeinen am grünen Kraute einen silbernen Rettich haltend (Wappen Wurm/Wurmb von Trachenfels; nach OeStA/AVA Adel RAA 466.11)

Rettich-Motive erscheinen im Wappenwesen auch als Nebenfiguren, zum Beispiel wie im Wappen der Wurm/Wurmb von Trachenfels, welches 1689 verliehen wurde und welches unter anderem eine Drachenfigur zeigt, die mit den beiden Vorderbeinen einen ausgerissenen silbernen Rettich an seinem Laublättern hält. Ein Löwe, der einen Rettich in den Vorderpranken hält, führt nach Konrad Fischnaler und nach dem Österreichisches Staatsarchiv Hans Rättich, Zollner in der Rovereit im Jahre 1584.[7]

Rettich versus Rübe

Eine Rettichfigur ist in der neueren Heraldik grundsätzlich von anderen rübenförmigen Wappenfiguren (Karotte, Zuckerrübe, Meerrettich) abzugrenzen. Allerdings gibt es Grenzfälle, wo zwischen einer Rettichfigur einerseits und einem anderen „rübeförmigen Motiv“ andererseits kein signifikanter Unterschied besteht. Beispielsweise werden die Wurzelfiguren im historischen Wappen von St. IlgenW-Logo.png, die auf ein Siegel von 1701 zurückgehen, einerseits mit dem Ober-/Sammelbegriff „Rüben“ beschrieben, andererseits vertritt Johann Goswin WidderW-Logo.png 1786 die Ansicht, dass es sich bei diesen um „Rettiche“ handelt.[8] Tatsächlich behindert die heraldische Stilisierung in historischen Fällen heute manchmal die exakte biologische Deutung von rübenförmigen Wappenfiguren, wobei die Menschen im frühen/alten Wappenwesen ohnehin keine taxonomisch korreken Abgrenzungen dieser Motive kennen.

Wappenbilderordnung

Weblinks

Commons: Rettich in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Wappenbrief: 8. November 1422: Hauskanzleiregistraturbuch, ca. 1418-1423; AT-OeStA/HHStA RK Reichsregister G; fol. 186r
  2. J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889/1890. S. 107 f.. Tafel 24. Figur 30. Reprint on Demand. Universtitäts- und Landesbibliothek Tirol. 2009. ISBN 3-226-00671-1.
  3. Martin Schmeitzel: Martin Schmeizels Einleitung zur Wappen-Lehre: Darinnen die Grund-Sätze derselben deutlich erkläret, und mit vielen Exempeln gehörig erläutert werden ; nebst der Blassonnirung des Kön. Preußischen Wappens. Jena, 1723, S. 198. (Google)
  4. Karl Heinz Burmeister: Siegel und Wappen des Georg Joachim Rheticus. In: Montfort. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs. 1965-04. 1965-04-01. S. 418 ff. (Digitalisat, abgerufen 22. März 2023). Wappenbeschreibung nach Burmeister:
    • „Der Schild ist fünfmal (dreimal?) rechts geteilt, darüber drei senkrecht schwebende Lauchstengel. Im Schildhaupt ein halber Adler.“
  5. Wolfgang R. Dick, Jürgen Hamel, Hilmar Willi Duerbeck: Beiträge zur Astronomiegeschichte. Band 9. Acta historica astronomiae. 2008. S. 278. ISBN 3-8171-1831-7.
  6. Pedanius Dioscorides: Der Wiener Dioskurides: Codex medicus Graecus 1 der Österreichischen Nationalbibliothek. Teil 2. Kommentar von Otto Mazal (= Glanzlichter der Buchkunst. Band 8/2). Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1999, ISBN 3-201-01725-6, Blatt 284r. Kommentar: S. 17 (Text tlw. griechisch, tlw. deutsch).
  7. Tiroler Wappenbücher 1564-1665 [auf der Karte 941/1685 der Fischnaler Wappenkartei: Tir. Wp. B. Bd. VI ] . Seite 358, Grafik 665. Standort: Wien Österreichisches Staatsarchiv; www.archivinformationssystem.at
  8. Wappen der Stadt und der Ortsteile auf der Website der Stadt Leimen, abgerufen am 22. März 2023.
  9. Jürgen Arndt und Werner Seeger (Bearbeiter) mit Wappenskizzen von Lothar Müller-Westphal: Wappenbilderordnung. Symbolorum armorialium ordo. Zit.: WBO - Wappenbilder. Hrsg.: Herold, Verein für Heraldik Genealogie und verwandte Wissenschaften (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch. B). 2., ergänzte und berichtigte Auflage. Band I. Bauer & Raspe, Inh. Manfred Dreiss, Neustadt an der Aisch 1996, ISBN 3-87947-110-X, S. 128 f. Tafel 32. Figur 2575 (447 S., zugleich Neubearbeitung des Handbuchs der heraldischen Terminologie von Maximilian Gritzner; Einleitungsband, Abt. B des Neuen Siebmacherschen Wappenbuches, Nürnberg, 1890).