Tuch (Heraldik)
Die Sammelausdruck Tuch (auch Tuche, Tüchel, Stoff, Zeug, Lappen, Laken, (Lein-)Wand oder ähnlich genannt; Diminutiv: Tüchelchen, Tüchlein; frz.: drap; engl.: cloth) und das Wort Tuchballen (auch Tuchrolle, Stoffballen, Stoffrolle oder ähnlich genannt; frz.: rouleau de drap; engl.: bale of cloth) bezeichnen im Wappenwesen seltene gemeine Figuren.
Darstellung
Tuch
Die gemeine, nicht weiter bestimmte Figur Tuch ist – heraldisch stilisiert – einem vier- beziehungsweise rechteckigen Stück Stoff oder ähnlichem oft mit mehreren Falten/Verknitterungen nachempfunden, wobei die Darstelllung gewöhnlich keine oder nur selten Rückschlüsse über Material (z. B. Wolltuch), Bindung (z. B. Satin-Tuch), Verwendungszweck (z. B. Zelttuch) oder die Art der Aurüstung (z. B. Melton-Tuch) erlaubt. Ein bestimmtes Tuch kann untere Verwendung seines Eigennamens oder eines genaueren Ausdrucks gemeldet werden (z. B.: Leichentuch, Segeltuch [Segel/Segelleinwand/Segelleinen], Zelttuch, Altartuch [von Wolle, Seide, Samt, Leinwand, gestickt/ungestickt], Betttuch, Tischtuch, Handtuch, Regentuch, Windeltuch, Schnupftuch, Wischtuch, Halstuch, Kopftuch, Nachttuch, Jagdtuch, Brusttuch und so weiter). In all diesen Fällen sind die besonderen Merkmale des jeweiligen Tuches in der Wappendarstellung zu berücksichtigen. Das gemeine Tuch erscheint in Wappen selten alleinstehend, sondern fast immer in Korrelation mit einer zweiten Figur (zum Beispiel hängt das Tuch von einer zweiten Figur herab, umschlingt diese oder wickelt sie ein et cetera). Die genaue Art und Weise, wie das Tuch mit einer zweiten Figur in Wechselbeziehung steht, ist stets anzuzeigen. Alle heraldisch üblichen Farben und Metalle sind zum Einfärben des Motivs erlaubt. Da das Motiv selten in Wappen erscheint, gibt es im Übrigen keine expliziten heraldischen Vorgaben, außer jene, die allgemein für gemeine Figuren gelten.
Rappe, blaues Tuch haltend; auf dem Helm: blaues, bannerförmig wehendes Tuch (Familienwappen Bleher)[1]
In der Wappenbilderordnung des Herold wird irrtümlich das Wappen der Augsburger bzw. Nürnberger Familie Oettinger (Ettinger) als Referenzwappen für die Figur Tuchballen angegeben. Die Familie führt jedoch kein Tuchballen, sondern laut Siebmacher die Figur Tuch, wobei die Wappenaufrisse im Laufe der familiären Wappengeschichte ein wenig variieren:
„(..) in Gold auf schwarzem Dreiberg einen Färberkessel, über welchen zwei aus den Oberecken wachsende weißbekleidete Arme eine Stange halten, über welche ein aus dem Bottich hervorgehendes schwarzes Tuch gewunden ist (..)“
Tuchballen
Die Figur Tuchballen erscheint in der neueren Heraldik; in der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens ist die Figur nicht gebräuchlich. Sie ist -- vergleichsweise wenig heraldisch stilisiert -- einer zu einem Ballen aufgerollten Tuch-/Stoffbahn nachempfunden. Die genaue Form der Figur sollte gemeldet werden („flacher Tuchballen“, „runder Tuchballen“ oder ähnlich).
Schweißtuch der Heiligen Veronika
Ein gemeines Tuch erscheint in frühen Wappen nicht (oder nur selten) als autonome, eigenständige beziehungsweise als alleinstehende heraldische Figur. Ausgenommen davon ist das sogenannte „Schweißtuch der Heiligen Veronika“. Der Heraldiker Gert Oswald macht im 20. Jahrhundert darauf aufmerksam, dass dieses besonderes Tuch einerseits als eigenständige Figur mit dornengekrönten und blutenden Jesusanlitz (lateinisch Sudarium Christi) Gegenstand der Heraldik ist, andererseits, davon abflatternd, als Teil einer Krummstabfigur:
„Schweißtuch, Sudarium: das Tuch, das die heilige Veronika der Überlieferung nach Christus auf dem Wege zum Kreuz gereicht haben soll. Heraldisch erscheint es um den Krummstab geschlungen im Hinterwappen der Äbte und Äbtissinnen. Als Attribut der Heiligen, mit dem Kopfbild Christi versehen kommt es als Wappenfigur sehr selten vor.“
Als für sich stehende Figur kommt das Schweißtuch der Veronika beispielsweise im Wappen der Provinz Jaén vor, weil nach der Legende das Gesicht Jesu im dreifach gefalteten Schleier der Veronika dreimal zurückblieb und einer der Abdrücke nach Jaén in Spanien gekommen sein soll. Außerdem erscheint das Schweißtuch der Veronika in Fantasie- und Passionswappen und im Wappen derer von Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, vorgeblich auch im Wappen von Kloster Grünau, der ältesten Kartause in Franken.
1871-1931: Tuch mit Kopfbild Christi (historisches Wappen der Provinz Jaén)
(aktuelles Wappen der Provinz Jaén)
Schweißtuch der Heiligen Veronika in Passionswappen
In Passionswappen erscheint das Schweißtuch der Heiligen Veronika als Nebenfigur und teilweise ohne Jesusantlitz, welches in anderen heraldischen Anwendungsfällen obligatorisch ist.
Wappenbilderordnung
- Die Figur Tuchballen wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Nahrungsmittel und Kaufmannsgerät unter der Nr. 9241 aufgenommen.
- Die Figur Tuch (an Kleidung, Fahne, Pedum) wurde zusammen mit Velum in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt D. Ergänzungen zu Bd. I WBO: I Teile lebloser Figuren unter der Nr. -869 aufgenommen.
Symbolik
Außerhalb der Heraldik können die Symbole Tuch und Tuchballen als Zunftzeichen oder als Parawappen in vereinzelten Fällen Bezug auf die Tuchmacherzunft nehmen. Entsprechende Zunft-/Schmuckschilde, Werbeflächen und Fassadenschmuck mit Tuchmotiven sind als Kennzeichen der Zunft ab und an im Gebrauch.
Abhängig von ihrem jeweiligen Verwendungszweck (Mundtuch, Sammeltuch oder ähnliches) haben weiße/silberne Tücher eine besondere Bedeutung. Beispielsweise wird „der Mund der Feuerpriester des Parsismus (..) mit einem Tuch verhüllt, um Verunreinigung des heiligen Feuers durch den Hauch zu verhindern, während im Jainismus die Mundbinde das unfreiwillige Verschlucken von Insekten verhüten sollte“[4]; und nach Plinius gebraucht man ein weißes Tuch, um die Misteln aufzufangen, die man in Verbindung mit einem Stieropfer den Göttern darreichte. In Zusammenhang mit Abrahams Schoß steht das Tuch, das der biblische Urvater auf seinen Knien hält, als „Symbol für die Geborgenheit des auf Gott vertrauenden Menschen in der Obhut eines Patriarchen“.[5] Besondere Tücher eröffnen eine Vielzahl von weiteren bedeutungsvollen Symboliken der Menschheit. Beispielweise das „Hunger-/Fastentuch“ an dem arme Menschen wie Mäuse nagen; das „Bildtuch“, das in der Mythologie von Athene zerrissen wurde, als die Göttin erkennt, dass sie nicht besser weben kann als Arachne (die daraufhin in eine Spinne verwandelt wird); die „drei oder vier Ellen Tuch“, in die man eine Leiche wickelt, verweisen auf die Vergänglichkeit des Lebens und des Ruhmes ... und so weiter.
Tuchplomben und Wappen
Regionale Zünfte (Tuchmacher, Färber) oder Händler (Wandschneider) gebrauchten Tuchplomben mit Wappen als Nachweis einer Qualitätsprüfung.
„Tuchplomben sind siegelartige, an Tuchen und anderen Textilgeweben vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert zum Nachweis einer durchgeführten Qualitätsprüfung angebrachte Warenplomben aus Blei. Sie sind vielfach in archäologischem Fundmaterial vertreten und stellen eine wichtige Quelle für die Erforschung von Produktionsstätten, Handelsplätzen und Warenverkehrswegen dar.“
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Wappenbeschreibung: „In Gold ein steigender Rappe, zwischen den Vorderläufen ein bordweise bis zum linken Schildrand laufendes blaues Tuch haltend und mit dem rechten Hinterhuf darauf stehend. Auf dem Helm mit blau-goldenen Decken pfahlweise ein oben in einen Ring auslaufender goldener Wringstab, dieser umwunden von einem blauen, bannerförmig wehenden Tuch, das wehende Ende in Verbindung mit dem gerollten Teil die Initiale „B“ bildend.“
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, VI. Band, 1. Abteilung, 2. Teil; Abgestorbener Bayrischer Adel; Verfasser: G.A. Seyler; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1906. S. 168.
- ↑ Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Bibliographisches Institut, Mannheim, Wien, Zürich 1984, ISBN 3-411-02149-7, S. 359 (Digitalisat [abgerufen am 29. Februar 2020]).
- ↑ Lexikon der Symbole: Mund. Knaurs Lexikon der Symbole S. 731. (Vgl. LdS, S. 295). 1989/1994/1998
- ↑ Lexikon der Symbole: Abrahams Schoß. Knaurs Lexikon der Symbole, S. 25. (Vgl. LdS, S. 12). 1989/1994/1998.
- ↑ Seite „Tuchplombe“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. Januar 2016, 21:01 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Tuchplombe&oldid=150526677 (Abgerufen: 13. Februar 2016, 11:12 UTC)