Reh (Wappentier)
Der Ausdruck Reh (ahd. rêh und rêch; mhd. rêch und rê; lateinisch capreola; französisch chevreuil und chevrette; englisch roe) bezeichnet im Wappenwesen (Heraldik) eine seltene gemeine Figur.
Abgrenzung
Abgrenzung (Geschlecht)
Allgemein ist der Ausdruck Reh in der Heraldik eine vage Benennung für eine Rehwildfigur ohne Unterschied des Geschlechts. Wird eine Wappenfigur mit diesem eher unbestimmmten Ausdruck beschrieben („blasoniert“), steht es einem Wappenkünstler grundsätzlich frei, eine männliche oder eine weibliche Rehwildfigur aufzureißen, wobei eine männliche mit Bewehrung (Geweih) im Sinne einer traditionellen Wappenkultur angemessener erscheint. In der neueren Heraldik sollte diese -- heraldisch stilisiert -- dem europäischen Reh (capreolus capreolus) nachempfunden sein.
Ist das Geschlecht einer Rehfigur wesentlich für ein Wappen, so heißt das männliche Rehwild im Blason zum Beispiel „Rehbock“, das weibliche „Rehhindin“ beziehungsweise wird mit einem anderen eindeutig geschlechtsdimorphen Ausdruck betont (siehe weiter unten).
Abgrenzung (Hirsch-/Rehwildfiguren)
In der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens wird nicht ein bestimmter Realtyp eines Rehs/Hirschs der natürlichen Geweihträger (Cervidae) in einem Wappen dargestellt, sondern ein Idealbild
davon. Sowohl in der bildlichen Darstellung als auch sprachlich differenziert man nicht nach biologischen, geschlechtlichen oder wissenschaftlichen Kriterien zwischen verschiedenen Reh-/Hirschwildmotiven. Im Laufe einer Wappengeschichte kann es daher vorkommen, dass in ein und demselben Wappen je nach Wappenaufriss ein Hirschbulle oder eine Hirschkuh, ein Rehbock oder eine Rehkuh beziehungsweise ein anderes reh-/hirschartiges Wappentier erscheint (beispielsweise erscheint im Wappen von Rehau
ursprünglich ein „Rehbock“ mit mehrendigem Geweih, im 19. Jahrhundert wurde aus diesem ein „Hirschbulle“ und heute erscheint im Stadtwappen eine „Rehhindin“ ohne Geweih[1]). Manchmal sind umfangreiche Forschungen oder die Wappenführenden/-stiftenden heranzuziehen, wenn es um die korrekte Interpretation eines Reh-/Hirschmotivs in Wappendarstellungen geht. In der neueren Heraldik herrscht die Tendenz vor, redende Assoziationen auf eine biologische Spezies aufzugreifen und entsprechend umzusetzen. Beispielsweise führte die Gemeinde Rechberghausen
ursprünglich einen Steinbock im Wappen, tauschte ihn aber am 16. Oktober 1932 gegen den „redenden“ Rehbock aus.
Geschichte und Bedeutung
Im Vergleich zu anderen Wappentieren (Löwe, Adler etc.) fanden Hirsche spät und nur sporadisch Eingang in Wappen (nach Scheibelreiter ca. ab dem zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts bzw. ab 1212)[2][3]; noch später erscheinen eindeutig als „Rehe“ zu identifizierende Figuren im Wappen. Die Ursachen und Gründe für das späte Auftreten im Wappenwesen sind unklar. Mag sein, dass eine Rehfigur auf Grund des panischen Fluchtverhaltens der natürlichen Rehe, die das Wild für die Jagd mit Hunden ungeeignet sein läßt, für die symbolische Identität eines Wappenführenden wenig brauchbar erscheint. In letzter Konsequenz gehörte das Reh nicht zur „Hohen Jagd“ des Adels, wird deswegen nicht zum Hochwild gezählt, wodurch es in einem gewissen Sinn auch nicht der Idealvorstellung einer Wappenfigur entspricht.
Darstellung
Rehbock
Der Rehbock (manchmal auch nur Bock genannt; lateinisch capreolus; französisch chevreuil; englisch roe-buck; italienisch capriolo) erscheint sowohl stehend wie schreitend und aufrecht, seltener in vollem Lauf, liegend oder äsend in Wappen. Oft wird die Figur Rehbock, dem natürlichen Vorbild angenähert, in Rot tingiert, doch findet man sie in Wappen in allen anderen heraldischen Farben (bevorzugt neben Rot in Gold/Gelb, Schwarz oder Naturfarbe). Das obligatorische Geweih und die Hufe (die „Waffen“) sind manchmal abstechend von der Farbe des Rehbocks und der des Schildes/Feldes tingiert, was stets zu melden ist. Neuerdings zählt man manchmal die Enden des Geweihs in der Form, dass man die Zahl der einzelnen Zinken einer Stange angibt (zwei-, drei-, vierendig et cetera).
„Rehbock: rot in Silber über drei grünen Kleeblättern: Etzdorff, Bayern. - Gekrönt: gold in Schwarz: Rehdinger, Preußen (gewöhnlich als Hirsch).“
„Rehe kommen selten in Wappen vor. Einen Rehbock führten ursprünglich aufrecht über 8 Kleeblättern die Etzdorf in Bayern (Tafel XVII. Fig. 14). Das Wappenbild der Rhediger (Rehdiger) in Schlesien dürfte, dem Namen entsprechend, auch eher auf einen Rehbock, als auf einen Hirsch, wie jetzt geführt, hinweisen.“
Steigender Rehbock mit dreiendigem Geweih auf grünem Schildfuß (Garz (Havelberg)
)
Über Stubben springender Rehbock (Stubben (Beverstedt)
)
Goldener stehender Rehbock auf silbernem Boden (Rehfelde
)
Rehbock und Rehhindin einander zugewendet (Oberlangenegg
)
Oberhalber oder wachsender Rehbock
Die Figur Rehbock ist als Halbfigur (auch als „wachsend“ oder als „oberhalb“ beschrieben) gebräuchlich, vermutlich weil die obere Hälfte eines Rehbocks mit zum Sprung gestellten Vorderbeinen betont kriegerisch wirkt.
Ein aus grünem Buschwerk wachsender roter Rehbock mit goldenen Stangen (Neuburg an der Kammel
)
Rehbockkopf/Rehbockrumpf
Wenn der Kopf des Rehbocks alleinstehend im Wappen vorkommt, so kann man dieses Wappen Rehbockkopfschild nennen. Gewöhnlich wird eine Rehbockkopf ohne Hals und im Visier dargestellt (auch „en face“ genannt, das ist die Frontalanschicht, bei der der Rehbockkopf den Wappenbetrachter zugekehrt ist). Ein Rehbockkopf mit Hals kann als Rehbockrumpf blasoniert werden. Im Normalfall erscheint die Figur mit glattem Schnitt an der Stelle, wo der Kopf beziehungsweise der Hals vom Körper abgetrennt sind. Ein Rehbockkopf mit anhängendem abgerissenem Halsfell oder im Profil nach heraldisch rechts oder links gewendet ist als solcher zu melden.
Rehbockkopf en face, eher naturalistisch
(Lekeberg (Gemeinde))
Rehbockkopf en face, eher heraldisch
(Lekeberg (Gemeinde))
(Rehungen
)
Rehgeweih
Zwei Rehstangen (also ein Rehstangenpaar) heißen im Wappenwesen Rehgeweih oder Rehwildgeweih (auch Rehgestäng[e], [Reh-]Gehörn, Krickl oder ähnlich genannt). Gewöhnlich besteht es aus zwei runden bis ovalen Stangen mit je drei Enden (eine sogenannte Vordersprosse sowie das eigentliche Stangenende, auch Mittelsprosse genannt, und eine in der Höhe zwischen beiden liegende Hintersprosse.[6]
Für ein Rehgeweih ist in der heraldischen Literatur keine Normalform vorgegeben. Es kann daher sowohl mit als auch ohne einem Teil der ornamentierten Hirnschale, dem Grind, in einem Wappenaufriss dargestellt sein. Wenn das Vorhandensein/Nicht-Vorhandenseins eines Grinds nicht gemeldet wird, obliegt die genaue Darstellung des Rehgeweihs der künstlerischen Freiheit des aufreissenden Wappenkünstlers und sollte zugunsten der Gesamtharmonie und Symmetrie des jeweiligen Wappens gestaltet sein. Angaben wie „Rehgeweih mit Grind“; „Rehgeweih ohne Grind“ et cetera in einer Wappenbeschreibung sind bindend und sollten stets entsprechend der Meldung in einem Wappenaufriss umgesetzt sein. Gewöhnlich werden bei einem Rehgeweih die Anzahl und die Form der sogenannten Enden nicht angegeben und obliegen ebenenfalls der künstlerischen Freiheit.
Rehbock als Nebenfigur
In einigen Wappen der neueren Heraldik ist der Rehbock als Nebenfigur im Verbund mit anderen Figuren (einem Gebäude, Pflanzen, Berg-/Bodenmotiven) anzutreffen. Beispielsweise erscheint in dem redenden Wappen von Rehburg-Loccum ein Rehbock im geöffneten Tor einer dreitürmigen Burg.
Rehbock im geöffneten Tor einer dreitürmigen Burg (Rehburg-Loccum
)
Rehbock als Schildhalter
Der Rehbock ist auch als Wappenträger anzutreffen (beispielsweise erscheinen im Wappen von Wappen von Aa en Hunze zwei Rehböcke in Naturfarbe als Schildhalter).
Rehhindin
Das Wappentier Rehhindin (auch Ricke, Rehkuh, Rehgeis, kurz Reh oder ähnlich genannt; ahd.: reia; frz.: chevrette; engl.: doe oder roe deer; sp.: corsa) ist in der Heraldik eine seltene gemeine Figur. Im Gegensatz zum Rehbock ist die Rehhindin stets ohne Geweih zu gestalten.
„Reh, schreitend; rot in Silber auf grünem Fuß: Regenau, Bayern. - Aufspringend; gold in Blau: Fugger vom Reh, Augsburg (wird wie eine Hindin dargestellt).“
„(..) Eine Rehhindin („Reh") schreitend führten die von Regemann in Bayern (Tafel XVII. Figur 23.) und die von Loser in Sachsen, aber sie kommt auch aufrecht (Tafel XVII. Figur 24. 25.) vor (..)“
Ruhende Rehkuh (Rehau (Monheim)
)
Steigendes goldenes Reh (Graben (Lechfeld)
)
Rehkitz
Das Wappentier Rehkitz ist in der Heraldik eine seltene gemeine Figur, die sich nur sehr schwer oder gar nicht von Hindin-Figuren des Rehs-/Hirschwilds unterscheidet beziehungsweise teilweise mit diesen Figuren gleichgesetzt wird. Beispielsweise zeigt heute die Rehwildfigur im Wappen von Wolznach ein aufspringendes Rehkitz, die Figur ist in Siegelabdrucken von 1370 und 1583 überliefert und es wird vermutet, dass sie dort eher eine Hindin darstellt.[7] Grundsätzlich wird das Rehkitz in der Heraldik als juveniles Reh ohne Hörner ohne primäres Geschlechtsmerkmal dargestellt und sollte eine heraldisch-stilisierte Punktierung auf dem Rücken und auf den Flanken aufweisen. Sollen Hörner beim Rehkitz vorhanden sein, ist dies zu melden (in diesem Fall sind vergleichsweise kurze „Hörnerstummel“ darzustellen). Die Lauf- und Kopfrichtung des Rehkitzes sollten nach heraldisch rechts erfolgen. Andere Lauf- oder Kopfrichtungen sind zu melden. Das Wappentier kann „abliegend“ oder „ruhend“ beziehungsweise in einer anderen Stellung dargestellt werden („aufspringend“ et cetera).
Rehschlägel
„Rehschlegel; rot in Silber: Abenstorffer, Bayern“
„(..) Tafel XVII. Figur 26. ist ein Reh-Schlägel, sehr selten in Wappen.“
Wappenbilderordnung
- Der Rehbock wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Andere Wildtiere unter der Nr. 5211 aufgenommen.
- Das Reh (beziehungsweise die Ricke) wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Andere Wildtiere unter der Nr. 5212 aufgenommen.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Eintrag zum Wappen von Rehau in der Datenbank des Hauses der Bayerischen Geschichte
- ↑ Scheibelreiter, Georg: Heraldik. Oldenbourg Verlag. 2006. ISBN 3-70290-479-4. Seite 52.
- ↑ Scheibelreiter, Georg: Wappen im Mittelalter. Primus/WBG. Darmstadt. 2014. ISBN 978-3-86312-025-2. Seite 84.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Hefner, Otto Titan von: Handbuch der theoretischen und praktischen Heraldik. Erster Teil. München. Heraldisches Institut. 1861. S. 77
- ↑ 5,0 5,1 5,2 J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 87
- ↑ Christoph Stubbe: Rehwild: Biologie, Ökologie, Hege und Jagd. 5., neu bearbeitete Auflage. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-440-11211-3. S. 86.
- ↑ 7,0 7,1 Eintrag zum Wappen von Markt Wolnzach in der Datenbank des Hauses der Bayerischen Geschichte
- „In Grün auf silbernem Dreiberg ein aufspringendes goldenes Rehkitz.“