Canette
Canette (Plural: Canettes; deutsch ‚Entchen, Entlein, Entenküken, Entenjunges, kleine Ente, Jungente‘ oder ähnlich, Diminutiv von französisch canard, fem. cane ‚Ente‘; englisch cannet, duckling) ist in der Heraldik ein nicht einheitlich, teilweise widersprüchlich verwendeter, mehrdeutiger Fachausdruck, der je nach Zeithorizont und Quelle für unterschiedlich gestaltete, vogelartige Wappenfiguren gebräuchlich ist.
Darstellung
Wird in einem Wappen im Profil ein heraldisch-stilisierte „Vogelfigur“ oder ein „vogelartiges Wesen“ (mit oder ohne Füße und Schnabel) dargestellt, so ist nur sehr schwer oder gar nicht zu unterscheiden, mit welchem speziellen Mitglied aus der biologisch-zoologischen Gruppe der Vögel die Darstellung übereinstimmt. Dementsprechend unheitlich bestimmen Heraldiker den Ausdruck canette und unterscheiden zwischen folgenden Hauptformen:
Steht für ... | Zitat | Canette (Muster) |
---|---|---|
Gestümmelte Ente |
– Claude-François Ménestrier (1691)[1]
– Georg Wilhelm Kühnen (1694 ins Deutsche übersetzt; nach Ménestrier)[2]
– Johann Christian Siebenkees (1789)[3]
– Ferdinand von Biedenfeld (1846)[4]
– Curt Oswalt Edler von Querfurt (1872)[5] |
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Kleine Ente (‚ungestümmelt‘, im Profil) |
– Ferdinand von Biedenfeld (1846)[4]
– Jakob Heinrich Kaltschmidt (1870)[7]
– Maximilian Gritzner (1889)[8]
– Alphonse O'Kelly de Galway (1901)[9]
– Jean-Claude Loutsch (1974)[10] |
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Vogel (unbestimmt; ‚klein‘, ‚ungestümmelt‘, im Profil, schwalbenartig) |
– Carl Mayer von Mayerfels (1857)[6]
– Emmanuel de Boos (2001)[11] |
Oft erscheint eine Canettenfigur in Mehrzahl und kombiniert mit anderen Wappenfiguren in einem Feld oder Wappen. Sie wird bevorzugt einfarbig in Schwarz dargestellt (tingiert); sollten ein evtl. vorhandener Schnabel oder die evtl. vorhandenen Füße farblich abgesetzt sein, ist das in der Wappenbeschreibung zu melden (zum Beispiel: „[schwarze] Canette, golden [rot, silber ...] bewehrt“).
Canette versus Merlette
Heraldische Autoren sind sich spätestens seit dem 17. Jahrhundert bis heute uneins darüber, ob man „Canetten-“ von „Merlettenfiguren“ unterscheiden kann/soll -- oder nicht. Die Kontroversen werden seit jeher durch unsaubere Zeichungen/Aufrisse befeuert. Beispielsweise erscheinen bei Ménestrier 1694 und 1734 unter dem Stichwort „Canette“ im Detail unterschiedliche dargestellte Motive (1694 ein Vogel mit gestümmelten Schnabel und angelegten Flügeln, 1734 dagegen ein Vogel mit ausgeprägtem Schnabel und einem Federkleid in Zackenform, wodurch der sichtbare Flügel halboffen wahrgenommen wird).
- Carl Mayer von Mayerfels macht im 19. Jahrhundert darauf aufmerksam, dass beide Motive zuweilen gleichgesetzt werden („manche Heraldiker unterscheiden diese, im Ganzen genommen doch wesentlich verschiedenen Gattungen gestümmelter heraldischer Vögel wenig oder gar nicht voneinander“)[6]. Ein Argument für die Gleichheit der Figuren ist, dass die vorgeblichen „wesentlichen“ Unterschiede (mit/ohne Schnabel/Füsse) in der Früh-/Blütezeit des Wappenwesen irrelevant waren, da es nur darauf ankam, ein Wappen als solches auf einem Blick identifizieren zu können; zumindest fehlen nach einigen Autoren Belege dafür, dass der Ausdruck „Canette“ expressis verbis auf ein anderes Vorbild referenziert als der Ausdruck „Merlette“. Manche verweisen darauf, dass Wappenfiguren mit dem Namen „Canette“ in unterschiedlichen Aufrissen von ein und demselben Wappen manchmal als (ganzes) „Entchen“ und manchmal als (gestümmelte) Merlette dargestellt sind[12], was ebenfalls ein Hinweis auf die Unterschiedslosigkeit der Figuren sein kann.
- Andere Autoren betonen dagegen, dass man die Canetten- von Merlettenfiguren sehr wohl voneinander abgrenzen sollte. Beispielsweise geht im 21. Jahrhundert Bernhard Peter auf seiner Webseite ausführlich darauf ein, welche Unterschiede zwischen Canetten- und Merlettenfiguren bestehen):
„(..) Es wird zwischen der »Merlette« und der »Canette« unterschieden. Die Merlette ist der gestümmelte Fall, während die Canette eine vollständige kleine Ente mit Schnabel und Füßen darstellt. (..) Aus einer Canette wird durch Stümmelung eine Merlette. Gleich den Merletten werden Canetten ebenfalls meist in höherer Anzahl verwendet. Gleich ist auch ihre Profildarstellung mit angelegten Flügeln (..)“
Allerdings sind sich die Autoren, die zwischen »Merlette« und »Canette« unterscheiden, im Detail nicht einig darüber, was die signifikanten Unterschiede der Figuren sein sollen. Neben Bernhards Differenzierung gibt es beispielsweise noch folgende Abgrenzungen:
Canette | Merlette | Vorgebliche Unterschiede |
---|---|---|
Ente
|
Vogel
|
– Ferdinand von Biedenfeld (1846)[4] |
Ente |
|
– Carl Mayer von Mayerfels (1857)[6] |
Ente (kleine)
|
(Ente)
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– Oskar Göschen (1906)[14]
– Théodore Veyrin-Forrer (1951)[15]
– Bernhard Peter (2014)[13] |
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Claude-François Ménestrier: La Sience De La Noblesse Ou La Nouvelle Metode Du Blason. 1691. S. 27 (Google)
- ↑ Kühnen, Georg Wilhelm (Hrsg.): Wohlanständige Adels-Zierde / Das ist / Neue Anleitung zu der sogenannten Herold- oder Wapen-Kunst. Wie dieselbe durch den hierinn sonderlich berühmten P. Claude François Ménestrier, in franzöischer Sprache verfaßt (..) nach dem Parisischen Exemplar so Anno 1691 aufs neueste herausgeben (..) 1694. S. 33.
- ↑ Siebenkees, Johann Christian: Erläuterungen der Heraldik als ein Commentar über Herrn Hofrath Gatterers Abriss dieser Wissenschaft. Nürnberg, 1789. S. 93 (Google)
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Ferdinand von Biedenfeld: Die Heraldik oder populäres Lehrbuch der Wappenkunde für Diplomaten, Genealogen, Archivbeamte und Edelleute, aber auch mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Maler, Zeichner, Kupferstecher, Lithographen, Bildhauer, Bildschnitzer, Stein-, Metall- und Holzschneider, Lackierer, Tapeten-, Teppich- und Kutschenfabrikanten, Sticker, Conditoren etc. als Anhang zu desselben Verfassers Ritterordenswerk. Mit 530 lithographischen Figuren und einer illuminierten Bildertafel. Weimar, Bernh. Friedr. Voigt, 1846. S. 37, 44, 70. Figur 361 (Google)
- ↑ Querfurt, Curt Oswalt Edler von: Kritisches Wörterbuch der heraldischen Terminologie. Nördlingen: Beck. 1872. Neudruck: Wiesbaden: M. Sändig. 1969. Seite 51.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 6,3 Mayerfels, Carl Mayer von: Heraldisches ABC-Buch. Das ist Wesen und Begriff der wissenschaftlichen Heraldik, ihre Gesetze, Literatur, Theorie und Praxis. Leipzig 1857. S. 396-398 (Google)
- ↑ Jakob Heinrich Kaltschmidt: Neuestes und vollständigstes Fremdwörterbuch zur Erklärung aller aus fremden Sprachen entlehnten Wörter und Ausdrücke, welche in den Künsten und Wissenschaften, im Handel und Verkehr vorkommen. 7., vollständig umgearbeitete und bedeutend vermehrte Auflage. F. A. Brockhaus, Leipzig 1870, S. 144.
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889/1890. S. 209. Reprint on Demand. Universtitäts- und Landesbibliothek Tirol. 2009. ISBN 3-226-00671-1.
- ↑ Alphonse O'Kelly de Galway: Dictionnaire archéologique et explicatif de la science du blason. Bergerac, 1901. S. 108 (Digitalisat)
- ↑ Jean-Claude Loutsch: Armorial du pays de Luxembourg. 1974.
- ↑ Emmanuel de Boos: Dictionnaire du blason. Paris 2001, ISBN 2-86377-170-1, S. 43 (französisch).
- ↑ Brian Timm in seinem Französisch-Englisch-Heraldik-Glossar; zitiert nach: Hemiksem (Municipality, Province of Antwerp, Belgium). Merlettes and martlets. 11. April 2007, abgerufen am 17. Januar 2021 (englisch, Ivan Sache, 10 April 2007): „The canette (qv.) is sometimes represented by the duckling and sometimes by the merlette.“
- ↑ 13,0 13,1 Bernhard Peter: Besondere Motive: Merlette – Abgerufen: 14. Januar 2021
- ↑ Oskar Göschen: Entstehung und Bedeutung der Wappenbilder, Wien, 1906, S. 114 f. (in: Jahrbuch der k. k. heraldischen Gesellschaft „Adler“. Neue Folge Band 16. Wien, 1906)
- ↑ Théodore Veyrin-Forrer: Précis d'héraldique. Paris, 1951. Arts Styles et Techniques. S. 114