Glocke (Heraldik)
Die Glocke (frz.: cloche; engl. bell) ist in der Heraldik
- eine gemeine Figur
- der „Bart“ einer Vogelfigur, das ist das ihr an der Kehle herabhängende Säcklein oder ihr Kropf[1]
Geschichte
Nach Ralf von Retberg kommen Glockenfiguren seit dem 12. Jahrhundert im Wappenwesen vor. Als Referenzwappen nennt Retberg das Wappen der Ritter von Lüdinghausen.[2] Die Glocke aus dem Wappen der Ritter von Lüdinghausen findet sich auch in neueren Wappenderivaten (zum Beispiel im Wappen der Stadt Lüdinghausen).
Seit 1982: Wappen von Lüdinghausen
Wappen des Kreises Coesfeld[3]
Darstellung
Die gemeine Wappenfigur Glocke ist dem Idealbild des gleichnamigen, selbsttönenden Musikinstruments nachempfunden. Sie erscheint gewöhnlich als kelch-/halbkugelförmige oder zylindrische Kirchenglocke und ist bevorzugt als Bienenkorbglocke, Zuckerhutglocke oder mit Gotischer Rippe aufzureissen. Andere Glockenformen, die vor beziehungsweise nach der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens gebräuchlich waren/sind, gelten als unheraldisch.
Die Figur wird in Wappen in allen heraldischen Farben dargestellt, bevorzugt in Gold oder Silber. Die Wappenfigur kann mit oder ohne Klöppel dargestellt sein. Ist der Klöppel andersfarbig als die Glocke, so wird dies mit einer Farbangabe ([Farbe]
) und dem Ausdruck beklöppelt beschrieben (beispielsweise „silberne Glocke, golden beklöppelt“).
1909: Kirchenglocke (nach Arthur Charles Fox-Davies)
Wappen der Glockengießerfamilie von Trier
Die Glocke erscheint hauptsächlich in Ein-, Zwei oder Dreizahl im Wappen. Eine größere Anzahl ist selten. Zuweilen werden Schildborde mit mehreren Glocken belegt. Bei Mehrzahl sollte die Stellung der einzelnen Glockenfiguren im Schild/Feld zueinander gemeldet werden (zum Beispiel: „zwei über eins“, 2:1). Auch die Ausrichtung der Glocke ist zu melden, wenn sie vom Standard -- Glockenklöppel senkrecht in Richtung unterer Schildrand, Glockenkrone senkrecht zum oberen Schildrand -- abweicht.
1 silberne Glocke mit goldenem Klöppel
(Saint-Gaudens)2 Glocken nebeneinander (Makarjew)
3 Glocken, 2-über-1 (Vahldorf)
4 Glocken
(Saint-Yon)5 Glocken
(Бальківці)Mit 6 Glocken belegte Bordierung
(Corneville-sur-Risle)Oben 7 Glocken, 4-über-3
(Donnern)Mit 8 Glocken belegte Bordierung
(Viala-du-Tarn)10 Glocken
(Huarte-Araquil)
Nachbildung einer realen Glocke
In Wappen ist das Motiv Glocke manchmal die vereinfachte Wiedergabe einer ehemaligen oder noch bestehenden Glocke im Einzugs- oder Herrschergebiet der Wappenführenden. Nachbildungen einer realen Glocke im Wappen müssen in der Wappenbeschreibung nicht explizit erwähnt sein. Es reicht gewöhnlich aus, die Nachbildung in der klassischen Kunstsprache der Heraldik genau so zu umschreiben, dass das Motiv in einem Wappen entsprechend stilisiert wiedergegeben werden kann.
Glockenfigur, deren Darstellung sich an eine reale Glocke anleht | Vorbild | Wappen | |
---|---|---|---|
Iggensbach | Die Glocke im Wappen von Iggensbach ist der zweitältesten datierten Kirchenglocke Deutschlands nachempfunden (Standort: Pfarrkirche Maria Namen; eine sogenannte Bienenkorbglocke, trägt das Datum 1144; die Lullusglocke trägt dagegen die Jahreszahl 1038).
|
Schwebende Glocke
Wenn eine Glockenfigur freistehend im Schild/Feld erscheint (Normalform), kann dies mit einem Ausdruck wie schwebend in der Wappenbeschreibung angezeigt werden, muss es aber nicht.
Goldene Glocke (Wappen von Pornainen)
Drei silberne Glocken 2-über-1 (Mörlenbach)
Schwarze Glocke mit goldenen Reifen und goldenem Klöppel (Mindelheim)
Hängende Glocke
Glockenfiguren erscheinen nicht nur freistehend oder schwebend im Schild/Feld, sondern auch hängend, das heißt in Kombination mit einem anderen Motiv. Wenn eine Glocken „hängt“, kann sie Teil eines komplexen Ganzen sein (zum Beispiel kennzeichnet eine Glocke in einem Turm diesen als Glockenturmfigur); oder aber sie ist Teil eines einfacheren Gebildes, beispielsweise eines Glockenjochs, eines Glockenstuhls oder dergleichen. Die Art und Weise, wie die Glocke mit einem anderen Motiv kombiniert ist, sollte gemeldet werden. Beispielsweise macht es für die Gestaltung eines Wappens einen Unterschied, ob eine Glockenfigur im Schallfenster einer Turmfigur „hängt“ oder ober eine Turmfigur mit einer Glocke „belegt“ ist.
Glockeninschriften und Glockenverzierungen
Gewöhnlich erscheinen auf einer Glockenfigur keine Inschriften, Verzierungen, Sinnsprüche, Devisen, Jahreszahlen, Glockengießerzeichen oder ähnliches. Wenn dergleichen für eine Wappen relevant ist, sollte dies in der Wappenbeschreibung gemeldet werden. Zum Beispiel erscheint auf der Glockenfigur im Wappen der Stadt Lauta ein Abbild des Heiligen Laurentius mit Rost; die Glocke im Wappen von Amt Haddeby trägt in Runenzeichen die Aufschrift ᚼᛁᚦᛅ᛬ᛒᚢ ‚HAITHABU‘; und die Friedensglocke von Sankt Martin, die im Wappen der Gemeinde Sankt Martin-Karlsbach in Österreich erscheint, trägt als Aufschrift die Jahreszahl 1200.
Glocke mit Abbild des Heiligen Laurentius (Lauta)
Glocke mit Runen-Aufschrift ᚼᛁᚦᛅ᛬ᛒᚢ
(Amt Haddeby)Glocke mit Jahreszahl „1200“ (Friedensglocke von Sankt Martin)
Glocke im Oberwappen
Glockenfiguren werden früh im Oberwappen als Helmzier verwendet. Beispielswiese führte das süddeutsches Patriziergeschlecht Schnewlin (auch Snewlin, Snewelin oder ähnlich genannt) aus Freiburg im Breisgau nach der Zürcher Wappenrolle aus dem 14. Jahrhundert im Oberwappen zwei gestürzte Glocken.
Glocke als Nebenfigur
Oft ist die Glockenfigur nicht das Hauptmotiv eines Wappens, sondern eine kleinere Nebenfigur, die sich beispielsweise im Schildhaupt, im Obereck oder in einer Vierung befindet oder andere Hauptfiguren begleitet.
Glocke im Obereck (Wappen von Belfast)
Glocke in einer Vierung
Glocken im Schildhaupt (Allevard)
Tier-/Viehglocke
Kleine, landwirtschaftliche Tier-/Viehglocken, die dazu dienen entlaufene Herdentiere auffindbar zu machen, kommen im Wappenwesen als gemeine Figuren vor, insbesondere die Schaf- und Kuhglocke (auch Kuhschelle, Rinderglocke, Trychle/Treichle oder ähnlich genannt; französisch cloche à vache; englisch cow bell oder zusammengeschrieben cowbell). Einerseits erscheinen Tier-/Viehglcoken freistehend beziehungsweise schwebend in Wappen; andererseits hängen sie als Nebenfigur Wappentieren (Rind, Ziege, Schaf, selten Pferd, Esel, Kamel, Rentier, Lama oder Elefant) an einem Halsband um den Hals. Gewöhnlich wird jener Teil, der die Tierglocke an einer anderen gemeinen Figur fixiert (Band, Leder oder ähnliches) in der gleichen heraldischen Farbe tingiert wie die Glocke. Weichen die Band- oder die Halsbandfarbe von der Farbe der Glocke ab, ist die Abweichung in der Wappenbeschreibung zu melden.
Kuhschelle in verwechselten Farben (Namlos)
Oben: Zweil silberne Kuhglocken (Schoppernau)
Zwei goldene Kuhglocken (Iragna)
Links unter einem Hufeisen eine Kuhglocke (Siedelsbrunn)
Glöckchen / Glöcklein
Kleinere Glocken („Schellen“) sind oft in größerer Anzahl im Wappen. Auch Personen können solche Schellen an der Bekleidung haben, insbesondere an Hüten.
Glöcklein mit vier Klöppeln
(Filzmoos)1899: Drei schräglinke Schellen, 2:1
(nach Siebmacher)
Schiffsglocke
Schiffsglocken (englisch ship bell) im Wappen sind selten.
Zersprungene Glocke
Auch „zersprungene“ oder „zerbrochene“ Glocken erscheinen gelegentlich in Wappen. Beispielsweise führte die Pariser Scharfrichterfamilie Sanson (Amtszeit von 1688 bis 1847) redend beziehungsweise onomatopoetischen ein zersprungene Glocke im Schild (französisch san son ‚ohne Klang‘.[6] Die Beschädigung deutet man gewöhnlich durch einen oder mehrere Risse in der Rippe einer Glockenfigur an.
Wappenbilderordnung
- Die gemeine Figur Glocke wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Gegenstände aus Kunst und Spiel unter der Nr. 9932 aufgenommen.
Siehe auch
Weblinks
- Bell. Internet: mistholme.com. Erstellt: 29. Januar 2014. Abgerufen: 14. November 2020 (englisch)
Literatur
- ↑ Querfurt, Curt Oswalt Edler von: Kritisches Wörterbuch der heraldischen Terminologie. Nördlingen: Beck. 1872. Neudruck: Wiesbaden: M. Sändig. 1969. Seite 55.
- ↑ Ralf von Retberg: Die Geschichte der deutschen Wappenbilder. Aus Ralf von Retbergs Nachlasse. 1884. Posthum in: Jahrbuch der k.k. heraldischen Gesellschaft Adler zu Wien. XIII./XIV. Jahrgang. Wien 1886/1887. Seite 9.
- ↑ Kreis Coesfeld: „Gespalten von Gold und Rot; vorn im oberen Drittel ein roter Balken, darunter eine rote Glocke, hinten ein stehender, gold gekleideter segnender Bischof, zu seinen Füßen eine goldene Gans.“
- ↑ Eintrag zum Wappen von Iggensbach in der Datenbank des Hauses der Bayerischen Geschichte
- ↑ Hozier (1717), Tome III, Béarn, p. 21 (Handschrift, in französischer Sprache)
- ↑ Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Bibliographisches Institut, Mannheim, Wien, Zürich 1984, ISBN 3-411-02149-7, S. 162 (Digitalisat [abgerufen am 29. Februar 2020]).