Heerkolben

Cave: Eine reale Waffe oder eine gegenständliche Insignie, welche außerhalb der Heraldik explizit „Heerkolben“ (?) genannt wird, gibt es nicht. Das Schlagwaffenvorbild für die heraldische Figur wird in der Umgangssprache und in der Waffenkunde normalerweise als „Streitkolben“ oder, kürzer, als „Kolben“ angesprochen (früher auch Slegel, Schlegel, Schlägel genannt; französisch masse, mace, maçue, machue, macuele/macuete, tinel; englisch mace; lateinisch macia; italienisch mazza; spanisch maza, herrada).[1]
Darstellung und Deutung
Heraldiker haben den Ausdruck „Heerkolben“ frei erfunden. Sie benutzen ihn vorwiegend zur Bezeichnung von schwer deutbaren Figuren im Wappen der Schenken von Limpurg. Mitglieder der Familie werden erst ab dem 13. Jahrhundert unter dem Titel Schenken von Limpurg greifbar; vorher waren sie unter dem Beinamen „Colbo“ erkennbar und führten in Blau fünf silberne Kolben („Streitkolben“) redend im Wappen. In diesem Sinne werden die Figuren im Wappen der Schenck von Limpurg sowohl 1593 bei Christoph Fröschlin/Fröschel als „Streitkolben/Kolben“, als auch im Alten Siebmacher von 1605/1609 als „Kolben“ angesprochen:[2][3]
„Schenk. V. Limpvrg.: Das öber vörder feld oben r. vnten w. abgetheilt / das ander feld bl. die kolben darin w: (..)“
Grundformen
Die Figuren, die in den Siegeln und in den Wappenaufrissen der Schenken von Limpurg erscheinen, sind im Laufe der Jahrhundert weder einheitlich dargestellt, noch werden sie immer gleich gedeutet. Sie erscheinen in mehreren Varianten, in verschiedener Anzahl und auf verschiedene Weise zusammengesetzt. In der deutschsprachigen Literatur werden sie nicht nur „Heerkolben“ genannt, sondern, je nachdem welche Siegel-/Wappenbilder einem Autoren vorlagen, auch gedeutet als:
- „Kolben“, „Keule“, „Streitkolben“, „trojanischer Stock/Kolben“, „altes Kriegsgerät“, „alte Kriegsrüstung“, „Turnierkolben“, „Rohr-/Schilf-/See-/Sumpf-/Binsenkolben“, „Schindeln, die auf der schmalen Seite stehen“, „längliche, eingeschuppte oder gekerbte Blätter“, als „breite Federn“ sowie als „Hackmesser“
Wappenkünstler geben den Figuren (heraldisch stilisiert) hauptsächlich eine keulen- bis „kolbenförmige“ Gestalt, die sich in einem weiten Sinn aus einem hinterem/unterem, dünneren Teil (Schaft, Handhabe, Kiel, Stengel o. ä.) und einem vorderen/oberen, dickeren bzw. zylindrischen Teil (Schlagkopf, Federfahne, Blütenstand o. ä.) zusammensetzt. Folgende Figurengrundformen sind in Wappenaufrissen, Siegeln und Derivaten im Zusammenhang mit den Schenken von Limpurg überliefert:
- Heerkolben?
Heutzutage ist es schwierig und muss spekulativ bleiben, welcher realer Gegenstand welcher Grundform entspricht. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die aufreissenden Wappenkünstler an unterschiedlichen zeitgenössischen realen Vorbildern orientierten. Beispielsweise stellt Variante 3 aus dem Codex Manesse augenscheinlich ein Streitkolben mit Schlagblättern dar (eine „altertümliche Kriegswaffe“, „vermutlich eine Art im vorderen Teil metallbeschlagene Kriegskeule“)[4]; die Wappenkünstler von Grünenbergs Wappenbuch (Münchner Handschrift) scheinen dagegen bei der Gestaltung der Variante 6 eher eine einfache „Holzkeule mit kurzem Griff“ im Sinn gehabt zu haben, die womöglich sowohl als Waffe, als auch als Werkzeug genutzt werden konnte (ähnlich wie ein Fund aus dem 10. Jahrhundert vom vom slawischen Burgwall Berlin-Spandau, siehe nebenstehend). Die Grundform Variante 8 dagegen ist zweifelsfrei einem Morgenstern nachempfunden, aber eine absolute Ausnahme, die gewöhnlich nicht als Wappenfigur der Schenken von Limpurg zur Anwendung kommt.
Mythos vom „Heerkolben“ und vom „trojanischen Stock“
Die Fantasiebezeichung Heerkolben scheint erst seit etwa 1680 im Wappenwesen gebräuchlich zu sein. Der Heraldiker Philipp Jacob Spener benutzt sie vermutlich als einer der Ersten, um die überlieferte gemeine Figur zu beschreiben, die im Stammwappen der Schenken von Limpurg vorkommt.[5] Dass er nur eine vage Ahnung davon hatte, welcher Gegenstand die Figur in Limpurg-Wappen darstellt, ist daraus ersichtlich, dass er die Figur auch lat. clava[s] Trojana[s] ‚Trojanischer Stock‘ und lat. vetus instrumenti belli genus ‚alte[s] Kriegswerkzeug[e]‘ nennt, obwohl die damalige Wissenschaft keinerlei gesicherte Erkenntnisse darüber besass, welche Waffen/Kriegswerkzeuge im historischen Troja zur Verfügung standen, geschweige denn, wo die Stadt überhaupt lag. Nur sechs Jahre später, 1686, erläutert Johann Christoph Wagenseil
die Figuren im Wappen der Schenken von Limpurg und zitiert dabei Speners Fantasiebezeichnungen.[6]
Von da an werden die von Spener und Wagenseil benutzten Fantasieausdrücke (Heerkolben, clava[s] Trojana[s] et cetera) in der heraldischen Literatur unkritisch weiter verbreitet, manchmal verknüpft mit abstrusen Vorstellungen darüber, was darunter zu verstehen sei. Die Zahl der Autoren, die den Ausdruck „Heerkolben“ aufgreifen, ist Legion, darunter zum Beispiel: Pastorius (1702)[7]; Hübner (1711, 1782)[8][9]; Weigel (1746)[10]; Hager (1747)[11]; Sander (1754)[12]; Gatterer (1763)[13]; Spieß (1771)[14]; Seyfart (1776)[15]; Dillinger (1781)[16]; Siebenkees (1789)[17]; Meding (1791)[18]; Kneschke (1867)[19]; Gritzner (1889)[20] et cetera. Manche Heraldiker scheinen die Ausdrücke „Heerkolben“ und „Kolben“ gleichzusetzen. So verwendet Hefner im Neuen Siebmacher regelmäßig den Ausdruck „Heerkolben“, aber in seinem Werk Handbuch der theoretischen und praktischen Heraldik interpretiert er die fünf Figuren im Wappen Limberg als „Kolben“.[21]
Ende des 19. Jahrhunderts fällt Maximilian Gritzner auf, dass der Ausdruck „Heerkolben“ nur im Zusammenhang mit Deutungen der Limpurg-Wappen benutzt wird, was ein starkes Indiz dafür ist, dass es einen gleichnamigen realen Gegenstand nicht gibt. Gritzner bestimmt „Heerkolben“ als einen „kurzgestielten achteckigen Kolben“, womit wohl nur die oben genannte Grundform Variante 3 nach dem Codex Manesse gemeint ist; die zahlreichen anderen Formen der Figur, von denen die meisten keinesweges „achteckig“ sind, übergeht er an dieser Stelle:
„Heerkolben (Tafel XXVI. Figur 95.): uns nur aus dem Wappen der Grafen von Limpurg als kurzgestielte achteckige Kolben bekannt (..)“
Elf Jahre zuvor hatte Gritzner noch einen ganz anderen Blick auf die „Kolbenfiguren“ im Wappen der Schenken von Limpurg. Da hält er sie explizit nicht für Streitkolben, sondern für „Rohrkolben“ (vgl. weiter unten #Mythos vom „Rohr-/Schilf-/See-/Sumpf-/Binsenkolben“) und nicht für einzigartig, da sie auch bei Anderen gleichen Geschlechts vorkommen. Ohne seine Quelle anzugeben, „käut“ er damals die Thesen des Pfarrers Hermann Bauer „wieder“:
„Die Schenken von Limpurg -- und ebenso die von Schöpf und Klingenberg, auch von Reicheneck, alle eines Geschlechts -- führten im Siegel 5 Kolben. Die ältesten Siegel (vergleiche zum Beispiel Hansselmann, Dipl. Beweis II. 288 Figur XIV.) scheinen uns aber ganz überzeugend darzuthun, dass nicht Streitkolben gemeint waren, sondern Rohrkolben mit langen, dünnen Stielen. Erst später sind sie zu Streitkolben zusammengeschrupft.“
Im 20. Jahrhundert fügen Heraldiker der Fantasiebezeichung „Heerkolben“ neue fantastische Theorienbildungen hinzu. Beispielsweise wiederholt Gert Oswald 1984 Gritzners Bestimmung von 1889, postuliert aber ohne Quellenangaben darüber hinaus, dass ein Gegenstand namens ‚Heerkolben‘ „im Mittelalter oft als Abzeichen des Heerführers diente“[23]. Man kann vermuten, dass er darauf anspielt, dass die Entwicklung der Streitkolben einerseits und die Entwicklung der Kommandostäbe andererseits etwas miteinander zu tun haben. Dafür aber, dass expressis verbis ein „Heerkolben“ einem „Heerführer“ einmal als Abzeichen gedient hat, gibt es bislang keinerlei Belege (zumindest sind der Heraldik-Wiki-Redaktion keine bekannt).
Streitkolben/Kolben mit Schlagblättern
Streitkolben mit Schlagblättern | ||
Metallene Streitkolben mit Schlagblättern, sind eine Weiterentwicklung der Keule und waren im 14. Jahrhundert geschätze Angriffswaffen der Reiterei, weil sie auch gegen die zur gleichen Zeit aufkommenden Plattenpanzer Wirkung zeigten. | ||
Ende 14 Jhr. (nach Viollet-le-Duc, 1874) |
Frühes 16 Jhr. (Russland) |
1305-1315: Drei „Heerkolben“? (Wappenschild des Schenk Konrad von Limpurg![]() |
Die Figur im Wappenschild des Schenk Konrad von Limpurg aus dem Codex Manesse (Variante 3) ist dem Idealbild eines „Streitkolbens“
mit einem hölzernen/metallen Schaft und einem speziellen, symmetrisch-zylindrischem Schlagkopf mit mehreren, scharf zugeschliffenen, sogenannten „Schlagblättern“ („Längsrippen“) nachempfunden, die radial aus dem Schlagkörper hervorragen.
„Interessant ist hier die Darstellung des Wappens für den Minnesänger Konrad
aus dieser Familie in der Manessischen Liederhandschrift. Dort werden nur drei (2:1) dieser Objekte gemalt, und hier sieht man deutlich, daß auf einen runden Stab ein walzenförmiges, mit mehreren Längskanten versehenes Endstück aufgezogen ist, und ganz oben fixiert eine kleine Kugel das Objekt gegen Loslösen. Diese Längskanten in Kombination mit dem dazwischen jeweils bogig eingezogenen Rand deuten auf einen Metallbeschlag, der längs 6 oder 8 spitze Kantenprofile hat und dazwischen ebensoviele runde "Täler", also eine mittelalterliche Schlagwaffe.“
Nach dem Waffenhistoriker Wendelin Boeheim verwendete man solche Schlagwaffen vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zum 16. Jahrhundert (genauer: bis etwa 1540).[24] Die Streitkolben mit den Schlagblättern stellen eine spezielle Variante eines „klassischen“ Morgensterns mit dem kugelförmigen Schlagkopf mit Dornen/Stacheln dar. Gegenüber einem klassischen Morgenstern mit Kugelkopf war die Trefffläche beim Streitkolben mit Schlagblättern größer; zudem waren die Schlagblätter stabiler als die Dornen/Stacheln, die im Kampf leicht brechen konnten. Es gab in Bronze gegossene Streitkolben-Varianten, bei denen der Kopf sowohl Dornen als auch Schlagblätter besass (vgl. die Zeichnung einer solchen Waffe des 14. Jahrhunderts von Eugène Viollet-le-Duc
aus dem Jahre 1874, Musée des fouilles du château de Pierrefonds).[25]
Mythos vom „Turnierkolben“
Friedrich Wilhelm Schumacher war im Jahre 1694 wahrscheinlich einer der ersten, der den lateinischen Ausdruck clava[s] Trojana[s] unangemessen mit ‚Turnier-Kolben‘ übersetzte.[26] Turnierkolben, die eher wie hölzerne „Keulen mit Griff“ geformt sind, ähneln zwar den Kriegswaffen namens „Streitkolben/Kolben“, sie besitzen aber letztlich eine andere Form und eine andere Funktion. Streitkolben/Kolben waren explizit dafür gedacht, Rüstungen zu zerbrechen und beim Gegner schwerste Verletzungen zu verursachen (vom Entzweibrechen von Knochen bis hin zum Aufplatzen eines Schädels); Turnierkolben waren dagegen eher militärische Übungs-/Trainingswaffen, mit denen der Umgang mit den „richtigen“ Kolben/Kriegskolben erlernt werden konnte, ohne dabei schwerste Verletzungen zu verursachen. Es scheint wenig plausibel, dass die Schenken von Limpurg anstelle einer potenten Schlagwaffe (Streitkolben/Kolben), eine weniger mächtige Übungswaffe (Turnierkolben) als Motiv für ihre Siegel- und Wappen erwählten.
Mythos vom „Rohr-/Schilf-/See-/Sumpf-/Binsenkolben“
Dass die Figuren im Wappen der Schenken von Limpurg Rohr-/Schilf-/See-/Sumpf-/Binsenkolben sind, wird spätestens ab dem 16. Jahrhundert kolportiert. Beispielsweise beschreibt der Pfarrer und Chronist Johann Herolt (1490-1562) zwischen 1541 und 1545 das Wappen der Herren von Limpurg folgendermaßen:
„Deren wappen ist ein gefuertter schilt, darinnen die zwen theil in iedem vierteil funff weisser sehenkolben drey oben, zwen unnden in ploem feldt, die andern zwenn vierthel ein rechen in einem weissen feldt, uff dem helm zway rotte hörner, darzwischen ein gelben erbschenckhenkopff, wie vor augen abgemalt ist (..)“
Allen, die die Figuren im Limpurg-Wappen als eine Art „Rohrkolben“ deuten, haben vermutlich ähnliche Wappenauffrisse, wie sie im Ingeram Codex gezeigt werden im Sinn, das heißt, Motive, die oben abgerundet sind beziehungsweise Darstellungen die „Feinstruktur vermissen“ lassen und „einfach einen Stab mit einer länglichen Verdickung in der oberen Hälfte“ zeigen (Variante 4).[4] In der Tat sehen diese Darstellungen bekannten Rohrkolbenfiguren, wie sie beispielsweise im Codex Manesse abgebildet sind, verblüffend ähnlich, was vor allem im 18. Jahrhundert, aber auch im 19. dazu führt, dass sich Autoren verstärkt für eine Rohrkolbendeutung aussprechen (Oetter [1762][28]; Meding [1791][18], Bernd [1849][29], Mayer [1857][30]; Gritzner [1878][22] und andere).
Im 19. Jahrhundert findet in mehreren Ausgaben der Zeitschrift Wirtembergisch Franken ein Disput zwischen dem Oberamtmann Mauch aus Gaildorf und dem Pfarrer Hermann Bauer
über die Familie Limpurg, deren Genealogie, Siegel und Wappen statt. Anläßlich einer These, dass das „unselige Streben“ der „Herren des Zopfes“, „Alles nobler, besser und weniger ordinär aussehend“ zu machen, der Grund dafür sei, dass aus „Rohrkolben -- Heerkolben (Limburg)“ gemacht wurden, die der Heraldiker Carl Mayer von Mayerfels 1857 in seinem Heraldischen ABC-Buch vorstellte,[30], führen 1858/59 Bauer und Mauch Rede und Gegenrede über ihrer Deutungen der Limpurg-Wappen-/Siegelfiguren. Während erster der Rohrkolbendeutung den Vorzug gibt, besteht für letzteren nach Begutachtung der historischen Siegel kein Zweifel, dass die Herren von Limpurg Streitkolben/Kolben führten. Mauchs Ausführungen stellen gewissermassen eine kopernikanische Wende
dar und leiten aufgrund einer schlüssigen Argumentation im Prinzip das Ende der Rohrkolbendeutung ein. Gegen Mayer von Mayerfels These führt er folgendes an:
„(..) Sie wenig ich die Absicht habe, den Ansichten des Herrn von Mayerfels im Allgemeinen zu widersprechen, so wenig kann ich indessen (die Rohrkolbendeutung als zutreffend oder glücklich gewählt erachten - Anm. der Redaktion). Einen Beleg für seine Behauptung hat (von Mayerfels) nicht beigebracht; einen anderen, unverwerflichen, als die noch vorhandenen Siegel der Limpurge, wird er aber auch nicht beibringen können. Aus diesen läßt sich nun aber eher das Gegenteil von dem dartun, was (Herr von Mayerfels) erweisen wollte, denn gerade aus den ältesten limpurgischen Siegeln (..) ist ersichtlich, daß mit dem scharfen Rande des oberen Teils der Kolben keine von der Natur gebildeten, oben abgerundeten Rohr- oder Mooskolben, sondern künstlich gefertigte, mit Rücksicht auf das Metall, aus dem sie gemacht sind, scharf zugeschliffene Streitkolben dargestellt werden wollten. Diese Wahrnehmung läßt sich bei allen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts gebrauchten Siegeln der Limpurge machen; - alle darauf vorkommenden Kolben sind oben scharfkantig, und erst mit dem Anfang des 15. Jahrhunderts, erst von da an, wo die Limpurge anfingen, ihren Wappenschild in vier Teile abzuteilen, finden sich Kolben (ohne Zweifel, weil der nun viel kleinere Maßstab eine genaue Zeichnung nicht mehr zuließ) häufig oben abgerundet, allerdings so, wie man Rohrkolben darzustellen gewohnt ist. Hieraus geht aber, wenn es überhaupt gestattet sein sollte, aus diesem Vorgange einen derartigen Schluß zu ziehen, eher das Gegenteil von dem hervor, was Herr von Mayerfels behauptet hat, nämlich der augenfällige Tatumstand, daß die Limpurge ihr althergebrachtes Wappenbild offenbar nicht »nobler« zu machen gesucht, sondern gerade umgekehrt, daß sie gar nicht darauf geachtet zu haben scheinen, daß die - wenistens 200 Jahre lang eckig dargestellten Kolben nach und nach in abgerundete, den Rohrkolben ähnliche, mithin ordinärer aussehende, umgewandelt worden sind.“
Gegen die Erklärungen des Pfarrers/Decans Hermann Bauers führt Mauch folgendes an:
„(..) Herr Decan Bauer (spricht) eine ähnliche Ansicht aus, mit der Bemerkung: »erst später sind die Rohrkolben mit langen dünnen Stielen zu Streitkolben zusammengeschrumpft«. Was ich (..) gegen Herrn von Mayerfels ausgesprochen, das gilt auch gegenüber diesem (..) Vereinsmitgliede. Hier können nur die Originalsiegel entscheiden. Die Streitkolben werden ihrer Natur nach, wie den Grundsätzen der Heraldik zu Folge, anders gezeichnet, als die Mooskolben; auch ihre Tinktur ist in der Regel eine sehr verschiedene, und die limpurgischen stimmen mit den aufgestellten Grundsätzen in beiderlei Beziehung überein (..) Die Stiele der limpurgischen Streitkolben sind überdies nirgend so unverhältnismäßig, das heißt so lang, daß man genötigt wäre, sie für Rohrstiele halten zu müssen, denn die längsten (die übrigens nur in zwei Siegeln [..] vorkommen) verhalten sich zum Kolben ungefähr wie 2:1, was durchaus nicht zu lang ist, während alle übrigen (..) namentlich aber die späteren Siegel viel kürzere, zum Teil so kurze Stiele zeigen, daß sich gar nicht denken läßt, wie ein so kurz gestielter Kolben in der Wirklichkeit mit gutem Erfolg hätte gehandhabt werden können. Der Grund der in der Darstellung eingetretenen Änderung scheint mir keineswegs in dem eitlen Bestreben gelegen zu sein, das Wappenbild nobler aussehend zu machen, sondern ich halte die vorgegangene Änderung für nichts anderes als für ein Resultat, das sich ohne bestimmte Absicht von selbst dadurch ergeben hat, daß man im 15. Jahrhundert anfing, nicht bloß die Siegel im Allgemeinen kleiner zu machen, sondern auch den Schild in 4 Teile abzuteilen, wodurch der Raum der Felder so beschränkt wurde, daß man neben erkennbaren Kolben nicht wohl auch noch lange Stiele machen konnte.“
Hermann Bauers Erwiderung beschränkt sich auf ein paar nebensächliche Richtigstellungen und auf ästhetische Bemerkungen, die in der nebulösen Spekulation enden, dass sich „ursprüngliche Rohrkolben“ im 13. Jahrhundert in Streitkolben „metamorphisierten“. Unklar bleiben bei der bauerschen Spekulation die Antworten auf alle „W“-Fragen (warum „metamorphisierten“ sich Rohrkolben zu Streitkolben? Wo ist das zweifelsfrei belegbar? Wieso „metamorphisierten“ sich die Limpurger-Rohrkolben, die Rohrkolbenfiguren anderer Wappen aber nicht? ... et cetera). Ungeachtet der offenen Fragen folgten selbst namhafte Heraldiker noch lange der Rohrkolbendeutung (Maximilian Gritzner beispielsweise hielt 1878 noch daran fest, erst 1889 löste er sich von dieser Deutung). Ein Beitrag über das Wappen der Reichsschenken von Limburg von Friedrich Karl zu Hohenlohe-Waldenburg im Jahre 1861, in dem auf einer Tafel erstmals mehrere frühe Limpurger-Siegel-/Wappenabbildungen nebeneinander zu sehen sind, bedeutet eigentlich das Aus für die Rohrkolbendeutung:
„Oetter (blasoniert 1762 die Motive im Wappen der Schenken von Limpurg - Anm. der Redaktion)[28] als »Binsen-Kolben«, aber mit Unrecht; denn die heraldischen Binsen- oder Rohr-Kolben, die Siebmacher auch als »Seekolben« blasoniert, haben eine andere Form, erscheinen meist mit Blättern versehen und aus dem Boden wachsend und sind gewöhnlich von ihrer natürlichen Farbe (..) Daß die Kolben im Limpurgischen Wappen auch ursprünglich keine Binsen- oder Rohrkolben waren, ersieht man auf den (frühen Siegelabbildungen); besonders deutlich auch auf dem dreieckigen Siegel (IV. A. 1.) Schenk Conrad's von 1271 im Stuttgarter Archive.“
Zweifelhaft wird die Rohrkolbendeutung vor allem, weil in einigen Quellen sowohl Streitkolben/Kolben als auch, deutlich unterscheidbar, Rohr-/Schilf-/See-/Sumpf-/Binsenkolben als Wappenfiguren dargestellt sind. Beispielsweise sieht im Codex Manesse (1305-1315) die Rohr-/Schilf-/See-/Sumpf-/Binsenkolben-Figur im Wappen der Taler ganz anders aus als die Streitkolben/Kolben-Figur im Wappen des Schenken Konrad von Limpurg (vgl. oben).
Mythos von den „Blättern“ und „Federn“
In einigen Kopien von Ulrich Richental's Chronik des Konzils zu Konstanz erscheinen die fünf Objekte aus dem Stammwappen der Limpurger seltsamerweise wie silberne „Federn“ beziehungsweise wie silberne „Laubblätter“ (Variante 5; Wappen des Hanns von Limburg). Es ist unklar, wie es zu den signifikanten grafischen Änderungen kam. Entfernt erinnern diese Figuren an eine Art Morgenstern mit länglich-prismenförmigen Schlagkopf und langen Dornen; doch ist das keine gesicherte Erkenntnis, sondern lediglich eine subjektive Interpretation.
Mythos vom „Hackmesser“
Die Hackmesserdeutung geht auf den Heraldiker Christian Samuel Theodor Bernd zurück. 1849 erinnern ihn die Kolben/Heerkolben in einem Aufriss des Limpurg-Wappens der Siebmacher-Ausgabe von 1772 an „Hackmesser“. Seine Äußerung in diesem Zusammenhang ist vermutlich eher als eine Art Kritik am Aufriss zu verstehen, weniger als ernsthafte Deutung der Figur.
„Bei S(iebmacher) 6, (Tafel) 13 siehet diese W(appen)bild aber eher einem Hackemesser ähnlich.“
Derivate
Fiktive „Heerkolben-Motive“ sind heute in einigen Wappenderivaten gebräuchlich, die sich in der Darstellung an die Limpurg-Wappenfiguren anlehnen, wobei gewöhnlich in der Wappenbeschreibung keine historisch überlieferte Grundform vorgegeben wird.
5 Kolben (Obersontheim
)
Wappenbilderordnung
- Die gemeine Figur Heerkolben wurde zusammen mit den Figuren Pusikan und Turnierkolben in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Andere Erzeugnisse von Menschenhand, Kriegsgerät: B. Hieb- und Stichwaffen unter der Nr. 9648 aufgenommen.
Einzelnachweise
- ↑ Schlägel, m. – Abschnitt: 1 b). In: Jacob Grimm
, Wilhelm Grimm
(Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 15: Schiefeln–Seele – (IX). S. Hirzel, Leipzig 1899, Sp. 340 (woerterbuchnetz.de – Keule, als Waffe).
- ↑ Christoph Fröschlin/Fröschel: Das uralte Geschlecht der Herren zu Limpurg. Obersontheim, 1593. Zitiert nach: Johann Philipp Heinrich Prescher: Geschichte und Beschreibung der zum fränkischen Kreise gehörigen Reichsgrafschaft Limpurg: Welcher die Topographie enthält. 1790. Vorbericht VI. und S. 40, 427.
- ↑ 3,0 3,1 Johann Siebmacher: New Wapenbuch : Darinnen deß H. Röm. Reichs Teutscher Nation hoher Potentaten Fürsten, Herren, und Adelspersonen auch anderer Ständt und Stätte Wapen ... beneben ihrer Schilt und Helmkleinoten, Nürnberg, 1605-1609. (urn:nbn:de:urmel-876d0c57-c5dd-4e46-bc18-de4db6c45eaa3-00006345-1254)
- ↑ 4,0 4,1 4,2
Bernhard Peter: Ein Erbstreit und die heraldischen Folgen: Das Schicksal des Limpurger Territoriums – Internet. Erstellt: 2020. Abgerufen: 14. Dezember 2020
- ↑ Philipp Jacob Spener: Historia Insignium Illustrium Seu Operis Heraldici Pars Specialis: Continens Delineationem insignium plerorumque Regum, Ducum, Principum ... in cultiori Europa, cum explicatione singularum tesserarum, & multis ad familiarum decora titulos (..) Frankfurt am Main, 1680. S. 219 (Google)
- ↑ Johann Christoph Wagenseil
: Commentatio de Sacri Romani Imperii summis officialibus et eorundem subofficialibus quam dissertationis publicae loco sub praesidio viri (..) Joh. Christophori Wagenseilii (..) subjicit Carolus Guilielmus. Welser a Neunhof. Ad d. 23. Junii (..) Frankfurt und Leipzig, 1686. S. 251. (Google)
- ↑ Melchior Adam Pastorius: Franconia Rediviva. Das ist: Des Hochlöblichen Fränckischen Craises So wohl Genealogische als Historische Beschreibung: In welcher enthalten: 1. Derer Fränckischen Könige und Herzoge Ankunfft. 2. Deren Hochstiffter und Bisthümber Origines (..) Nürnberg, 1702. S. 204 f. (Google)
- ↑ Johann Hübner: Reales Staats-Zeitungs- und Conversations-Lexicon: Darinnen so wohl Die Religionen und geistlichen Orden, die Reiche und Staaten, Meere, Seen, Flüsse, Städte, Festungen (..) als auch Andere in Zeitungen und täglicher Conversation vorkommende aus fremden Sprachen entlehnte Wörter (..) beschrieben werden: Nebst einem Anhange, vollständigen Registern und einer erneuerten Vorrede. Leipzig, 1711. S. 1636. (Google)
- ↑ Johann Hübner: Neu vermehrtes und verbessertes reales Staats-Zeitungs- und Conversations-Lexicon. Leipzig, 1782. S. 2877 (Google)
- ↑ Christoph Weigel der Ältere: Der durchlauchtigen Welt (..) neu vermehrter und verbesserter Geschichts-, Geschlechts- und Wappen-Calender (..) Nürnberg, 1746. S. 92. (Google)
- ↑ Johann Georg Hager
: Ausführliche Geographie: Von Teutschland überhaupt. Band 2. Chemnitz, 1747. S. 277. (Google)
- ↑ Georg Heinrich Sander: Sammlung rarer und merkwürdiger Gold- und Silbermünzen: historisch und kritisch beschrieben. Zweyte Fortsetzung. Band 3. Leipzig, 1754. S. 35.
- ↑ Johann Christoph Gatterer: Handbuch der neuesten Genealogie und Heraldik: worinnen aller jezigen Europaeischen Potentaten Stammtafeln u. Wappen enthalten sind : Nebst einer kurzen Vorstellung aller jeztregierenden Kaiser (..) Nürnberg, 1763. S. 161. (Google)
- ↑ Johann Jakob Spieß: Der brandenburgischen historischen Münzbelustigungen vierter Theil: in welchem viele meist sehr seltene und unbekante, sowol ältere als neuere Schaustükke, Dukaten, Thaler, auch andere Münzen, von verschiedenem Metal, welche die brandenburgische Geschichte erläutern, sauber in Kupfer gestochen, genau beschrieben und mit historischen und kritischen Anmerkungen begleitet werden. Anspach, 1771. S. 401. Google)
- ↑ Johann Friedrich Seyfart
: Der Durchlauchtigen Welt vollständiges Wappenbuch. Band 4, Nürnberg, 1776. S. 72
- ↑ Georg Adam Dillinger: Nach dem jezigen Staat eingerichtete neu vermehrte Bilder-Geographie: darinnen von den vier Haupttheilen des Erdbodens, Europa, Asia, Afrika und Amerika Nachricht gegeben, alle Nationen nach ihren Sitten und Gewohnheiten beschrieben und nach ihrer Kleidung in saubern Figuren vorgestellet ... ; als ein bequemes Handbuch zum Gebrauch der neuesten geographischen Charten eingerichtet, und mit doppeltem Register versehen. Nürnberg, 1781. S. 210
- ↑ Siebenkees: Erläuterungen der Heraldik als ein Commentar über Herrn Hofrath Gatterers Abriss dieser Wissenschaft. Nürnberg, 1789. S. 136 (Google)
- ↑ 18,0 18,1 Christian Friedrich August von Meding: 725. Schenck von Limburg, Grafen und Herrn.: In: Nachrichten von adelichen Wapen, Band 3. Weißenfels nud Leipzig, 1791. S. 572-576. (Google)
- ↑ Ernst Heinrich Kneschke: Neues allgemeines deutsches Adels-Lexicon. (..) Band 7. Leipzig, 1867. S. 276
- ↑ 20,0 20,1 J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 124.
- ↑ Otto Titan von Hefner: Handbuch der theoretischen und praktischen Heraldik. Band 2. München 1863. S. 209. (Google)
- ↑ 22,0 22,1 Maximilian Gritzner: Hoher Adel Deutschlands. Band 1. Ausgabe 3. Teil 2. Nürnberg, 1878. S. 29. (Google)
- ↑ Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Bibliographisches Institut, Mannheim, Wien, Zürich 1984, ISBN 3-411-02149-7, S. 181 (Digitalisat [abgerufen am 29. Februar 2020]).
- ↑ Wendelin Boeheim
: Handbuch der Waffenkunde, Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1890, Fourier Verlag, Wiesbaden 1985, S. 357-363, ISBN 978-3-201-00257-8. (Google)
- ↑ Eugène Viollet-le-Duc
: Dictionnaire raisonné du mobilier français de l'époque carlovingienne à la Renaissance. Paris, 1874. S. 195 f. (Digitalisat, abgerufen: 14. Dezember 2020)
- ↑ Friedrich Wilhelm Schumacher: Kurtzgefaßete Teutsche Wapen-Kunst : darinnen Die rechten Regeln und Grundlehren/ sowohl zum teutschen auffreißen als visiren und erklären derer Wapen und Schilden/ nebenst verschiedenen curieusen Sachen von Chur- und Fürsten-Hüten auch Wachs zum Siegeln ; kürtzlich und deutlich zu sonderbaren Nutzen vor Comites Palatii auch Müntz-Räthen/ und vornehmlich Mahlern und Müntz-Pregel oder Formenschneidern entworffen / von F. W. Schumacher Phil. Mag. und J. Cult. Jena, Oehrling. 1694. S. 89 (Google)
- ↑ Johann Herolt: Chronica. Zitiert nach: Württembergische Geschichtsquellen. Band 1. Dietrich Schäfer (Hrsg.): Geschichtsquellen der Stadt Hall. Band 1. Bearbeitet von Christian Kolb. Stuttgart 1894. S. 70 f.
- ↑ 28,0 28,1 Samuel Wilhelm Oetter: »Erläuterung des Herzoglich Fränkischen Wappen«. In: Der wöchentlichen Wappenbelustingung zweites Stück. Augsburg, 1762. (Vorrede; (Google)
- ↑ 29,0 29,1 Christian Samuel Theodor Bernd: Die Hauptstücke der Wappenwissenschaft:' Die allgemeine Wappenwissenschaft in Lehre und Anwendung, nach ihren Grundsätzen in Europas Ländern aus den Quellen dargestellt. Bonn, 1849. S. 318 (Google)
- ↑ 30,0 30,1 Carl Mayer von Mayerfels: Heraldisches ABC-Buch. Das ist Wesen und Begriff der wissenschaftlichen Heraldik, ihre Gesetze, Literatur, Theorie und Praxis. Leipzig 1857. S. 18. (Google)
- ↑ 31,0 31,1 Mauch (Oberamtmann in Gaildorf); Hermann Bauer: Nachtrag zur Beschreibung des Wappens der Herren von Limpurg. In: Wirtembergisch Franken. Zeitschrift des Historischen Vereins für das wirtembergische Franken. Band 5. Heft 1. Künzelsau und Mergentheim, 1858/59. S. 159-164, S. 417-418
- ↑ Friedrich Karl zu Hohenlohe-Waldenburg: Das Wappen der Reichsschenken von Limburg. Besonderer Abdruck aus dem Korrespondenzblatt von 1861. Stuttgart. (Google)