Richtrad
Das Richtrad (auch Marterrad, Justizrad, Sühnerad oder ähnlich genannt; frz.: roue; engl.: breaking wheel) ist in der Heraldik eine gemeine Figur, die hauptsächlich als sogenanntes Katharinenrad (frz.: roue de Ste-Catharine; engl.: Catherine wheel) in Wappen erscheint.
Darstellung
Der Allgemein-/Sammelbegriff Richtrad bezeichnet alle in Wappen bzw. Wappenaufrissen überhaupt vorkommende Darstellungen von wirklichen oder erdichteten Formen des Folter-/Hinrichtungsgeräts „Rad“ und zwar sowohl in ihrer natürlichen, als auch in ihrer heraldisch stilisierten Gestaltung und Färbung. Er sollte daher grundsätzlich nicht oder nicht allein zur Beschreibung/Blasonierung einer Wappenfigur verwendet werden. Statt dessen sind Ausprägung (Wagenrad, Viertelrad, gebrochenes Rad) Anzahl und Gestaltung der Speichen (gedrechselt, glatt), besondere Richtradmerkmale (außen mit Messern/Zacken/Haken o. ä. besetzt) et cetera explizit zu melden. Heraldische Richtradfiguren sind gewöhnlich folgenden Grundformen von erdichteten oder authentischen Folter-/Hinrichtungsgeräten in der einen oder anderen Weise nachempfunden:
Zeitraum | Folter-/Hinrichtungsmethoden mit Richträdern | Beispiel |
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Antike | Grundform: Erdichtetes (mythisches) Feuer-/Schlangenrad In einem gewissen Sinn stellt das Feuer-/Schlangenrad, an das Ixion zur Strafe für missbrauchte Gastfreundschaft gebunden wurde, ein frühes „Richtrad“ dar. Der griechische Mythos, wie sich Ixion am Rad erst am Himmel, später in den Tartaros ewig herumdreht, wurde von späteren Kulturen und in Werken der bildenden Kunst in vielfacher Weise aufgegriffen. |
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Mittelalter bis 19. Jhr. |
Grundform: Erdichtetes Märtyrer-/Folter-/Hinrichtungsrad Im Kontext von Hagiographien gestalteten „Theoretiker der Neuzeit“[1] mangels Quellenmaterials Phantasieillustrationen, die das römische „Tormentieren“ (Martern) von „Heiligen“ (Katharina, Georg) mit einem Rad darstellen sollen. Die Phantasiekonstruktionen des 15./16. Jhr. sind zudem von der griechischen Mythologie, von Aristophanes oder anderen Quellen beeinflußt, in denen das Rädern eher allegorisch behandelt wird, die aber wenig oder keinen Aufschluß über die historische Realität geben. Zu den erdichteten Nachbildungen zählen zum Beispiel:
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Grundform: Echtes Folter-/Hinrichtungsgerät (Wagenrad), vorrangig zur Verstümmmelung, seltener zum Töten Das authentische „Rädern/Radebrechen“ erfolgte in zwei Schritten; im ersten wurde ein großes, sechs- bis zwölfspeichiges Wagenrad (manchmal mit eiserner Kante) dazu benutzt, die Glieder des am Boden in scharfkantigen Unterlegkrippen (Krammen, Brecheln) oder in anderen „Einspannvorrichtungen“ fixierten (männlichen) Verurteilten zu zerschlagen. Rhythmus sowie Anzahl der Schläge und der Speichen des Rades waren typischerweise genau bestimmt. |
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Grundform: Echtes Strafwerkzeug (Wagen-/Prangerrad), vorrangig zur öffentlichen Vorführung Das authentische „Rädern/Radebrechen“ erfolgte in zwei Schritten; im zweiten wurden die Opfer (lebendig oder tot) respektive ihre Körperteile in ein „Prangerrad“ geflochten oder daran festgebunden; dasselbe wurde an einem Stock oder Pfahl am Richtplatz aufgerichtet. Die öffentliche Zurschaustellung konnte jahrelang dauern (bis die Knochen der Opfer von den aufgerichteten Rädern fielen). |
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Grundform: Fragliches Strafwerkzeug (Viertel-/Halbrad, ausgebrochenes Rad) Manche Quellen legen nahe, dass die zeitgenössische Folter-/Todesstrafe des Räderns nicht nur mit vollständigen Rädern geschah, sondern auch mit Radteilen (zum Beispiel mit einem Viertelrad, das lediglich aus der Nabe, zwei bis drei Speichen und ein, zwei Felgenstücken besteht). Ob dies zutrifft oder nicht, ist fraglich beziehungsweise nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht. |
Gewöhnlich werden komplette Richträder in Wappen gezeigt, welche meist aus Radnabe, den Radspeichen und der Radfelge bestehen und manchmal außen auf der Felge mit geraden oder gebogenen Messern, Zacken, Haken oder ähnlichem besetzt sind (wobei die Abstände zwischen diesen gleichmäßig groß sind). Nach dem Prinzip pars pro toto erscheinen statt einer ganzen Richtradfigur in Wappen teilweise auch ausgebrochene Richtradstücke beziehungsweise halbierte, geviertelte oder anders „verkrüppelte“ Richträder (ein gebrochenes Richtrad erscheint beispielsweise im Wappen der Familie Bockstaller in der Wappenrolle des Münchner Herold, Nr. 014/11042 aus dem Jahre 2004/2005). Die Radnabe ist typischerweise als runder Durchbruch („Loch“) gestaltet. Die Farbgebung oder Tingierung eines Richtrads erfolgt nach den heraldischen Regeln.
um 1322: Achtspeichiges Richtrad mit 16bogigen Klingen (Siegel des Hinricus de Wedele)
Wappen der von Wedel mit schwarzem Richtrad
Zerbrochenes Rad mit spitzen Zacken (Gütenbach; spielt auf die Hl. Katharina, Patronin der Pfarrkirche an)
Zerborstenes, oben rechts ausgebrochenes sechsspeichiges Rad, außen mit vier Messern besteckt (Stuttgart-Vaihingen)
In drei Teilen gebrochenes Richtrad mit elf Speichen (Wielfresen)
Oben: rotes speichenloses Richtrad Sankt Katharein an der Laming
Katharinenrad
Ein Richtrad mit Eigenname ist das sogenannte Katharinenrad. Es gilt als als Attribut der Märtyrerin St. Katharina.
„Katharinen-Rad: (Marterinstrument der hl. Catarina) Rad mit krummen Haken statt der Zähnen, in dessen Nabe oft ein Dolch steckt.“
„Katharinenrad: als Symbol der Marterwerkzeuge der heiligen Katharina vom Berge Sinai dienendes, mit spitzen Eisenzacken besetztes Rad.“
Der Legende nach wurde die wahrscheinlich frei erfundene Katharina im frühen 4. Jahrhundert gerädert und anschließend enthauptet. Das Martyrium erlitt sie vorgeblich unter dem römischen Kaiser Maxentius (306–312), nach anderen Angaben unter Maximinus Daia (305–313) oder unter Maximian (286–305). Der Aufbau des Katharinenrad wird in der Legenda aurea (ca. 1264) beschrieben. Demnach besteht es aus vier „mit eisernen Sägen und spitzen Nägeln“ gesäumten Rädern.
„Zwei davon sollten nach unten bewegt werden und die anderen entgegengesetzt nach oben und somit die Märtyrin zerreißen. Auf Katharinas Gebet hin kam jedoch ein Engel und zerstörte das Folterinstrument mit solcher Wucht, dass zugleich 4000 Heiden getötet wurden.“
Katharina, in der Rechten ein sechsspeichiges Richtrad (Steinau an der Straße)
Katharina, in der Linken ein achtspeichiges Richtrad (Hjørring)
Katharina, in der Linken ein gebrochenes Rad mit fünf Speichen und vier Zacken (Wolmirstedt)
(Bucholz)
(altes Wappen von Kaarina)
Manchmal ist ein Katharinaattribut auch dann in einem Wappen präsent, wenn sich der Bezug im Laufe der Geschichte änderte oder ganz wegfiel. Beispielsweise war Katharina über Jahrhunderte Kirchen- und Ortspatronin von Densborn (bis 1738). Dementsprechend erscheint im Wappen von Densborn im silbernem Schildfuß ein schwarzes Katharinenrad (Richtrad). Ende des 18. Jahrhundert fokussierte man sich jedoch auf das Patrozinium der Pfarrkirche und Maria Magdalena trat mit ganz anderen ikonografischen Heiligenattributen an die Stelle von Katharina, ohne dass man diesem Umstand im Wappen von Densborn in Rechnung trug.
(Densborn)
Katharinenrad und Richtschwert
Weitere Attribute der Katharina sind Buch, Krone, Palmzweig und das Richtschwert[Notiz 1]. Eine Schwertfigur erscheint bevorzugt mit einem Rad/Richtrad in einem Orts-, Kloster- oder Kirchenwappen, wenn darin ein Namensbezug oder ein anderer Zusammenhang zur Heilige Katharina versinnbildlicht wird (beispielsweise im Wappen von Sankt Katharinen). Beide Figuren werden in solchen Fällen teils miteinander zu einer Gesamtfigur kombiniert, teils freisstehend und unabhängig voneinander gestaltet.
Wappen Sankt Katharinen: Gespalten und vorn geteilt; vorn oben in Silber ein durchgehendes schwarzes Balkenkreuz, unten in Rot ein silberner Schlüssel mit gotischer Vierpaßreite und linkshin gewendetem Bart; hinten in Blau ein halbes, entlang der Spaltung zerbrochenes goldenes Richtrad mit acht Speichen des ganzen Rades, bedeckt von einem gestürzten silbernen Schwert mit von Silber und Rot zweireihig geschachtem Griff. | |
Wappen Berlin-Weißensee: In Silber ein mit 14 krummen blauen Messern besetztes sechsspeichiges rotes Richtrad, durch das ein gestürztes blaues Richtschwert mit goldenem Griff gesteckt ist. | |
Wappen Ransel: In Blau silbernes Richtschwert, mit halben goldenem Rad belegt. | |
Wappen Alía: In Rot achtspeichiges goldenes Richtrad, oben begleitet mit nach rechts gerichteten, silbernen Schwert mit goldenem Gehilz |
In der Kirche von Tarnow bei Bützow befindet sich in einer Gewölbekappe ein Deckengemälde[7] mit der Darstellung des Martyriums der heiligen Katharina. Hier wird eine gekrönte Jungfrau kniend mit dem Schwert hingerichtet. Eine ähnliche Darstellung findet sich auch im Wappen von Čakajovce.
Richtrad und der Heilige Georg
Weniger gebräuchlich als das Katharinenrad ist ein Richtrad, auf das ein nackter, nur mit einem Lendentuch bekleideter Mann („Georg“) geflochten ist. Der römischen Offizier Georg (bekannter unter den Ausdrücken „Drachentöter“ oder Heiliger Georg) wurde der Überlierferung nach wegen seines Glaubens von Kaiser Diokletian auf ein Rad gebunden, um seine Knochen zu brechen. Georg gilt u. a. als Schutzherr der Kreuzfahrer, Englands und Georgiens und zählt zu den 14 Nothelfern sowie gemäß seinem Namen Georgios, der „Landmann“ bedeutet, als Bauernpatron.
ca. 1200: Räderung des hl. Georg (aus dem Weißenauer Passionale)
Das Wappenmotiv in einem Fenster der Tübinger Stiftskirche
Georg wird gerädert (Michiel Coxcie, 1580er Jahre)
Wappenbilderordnung
- Das Richtrad wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Handwerksgeräte unter der Nr. 9425 aufgenommen.
Symbolik
Unklar (beziehungsweise nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht) ist, in welchen Fällen und ob ein Richtrad und/oder ein Richtschwert in einem Wappen ein Kennzeichen für das Recht der Blutgerichtsbarkeit sind.
Sehenswertes
Noch erhaltene Richträder sind im
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Schild, Wolfgang: „Von peinlicher Frag“. Die Folter als rechtliches Beweisverfahren. In: Schriftenreihe des Mittalterlichen Kriminalmuseums. Nr. 4. Rothenburg ob der Tauber. Ohne Datum. S. 85 ff.
- ↑ Seite „Rädern“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 23. April 2017, 04:34 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=R%C3%A4dern&oldid=164830125 (Abgerufen: 19. Mai 2017, 11:17 UTC)
- ↑ Bermann, Moritz: Der Mörder des jüdischen Blutzeugen. In: Dunkle Geschichte aus Oesterreich. 1868. Tafel zwischen S. 368 und 369.
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 210
- ↑ Oswald, Gert: Lexikon der Heraldik. Mannheim, Wien, Zürich. 1984. S. 222.ISBN 978-3-411-02149-9
- ↑ Seite „Katharina von Alexandrien“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. Januar 2017, 18:01 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Katharina_von_Alexandrien&oldid=162082357 (Abgerufen: 10. Mai 2017, 21:07 UTC)
- ↑ Georg Christian Friedrich Lisch, Die Kirche zu Tarnow, In: Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde.
Notiz
- ↑ Palmzweig, Richtrad und Richtschwert sind Attribute des Martyriums, die Krone ein Attribut des Sieges über das Fleisch sowohl im Martyrium als auch in der gottgeweihten Jungfräulichkeit.