Wange (Heraldik)
Wange (= Teil eines Möbelstücks) und davon abgeleitet
- Tischwange (=Teil eines Tischs)
- Stuhlwange (=Teil eines Sitzmöbels, „Gestühlwange“)
sind im Wappenwesen aus historischen Gründen uneinheitlich und vieldeutig verwendete Ausdrücke für mehrere, in der Darstellung unterschiedliche gemeine Figuren, deren genaue Formen und Erscheinungen trotz einiger Ansätze in der heraldischen Literatur nicht systematisch, konsistent und erschöpfend bestimmt sind. Rein quantitativ und unabhängig von der Darstellung der Wappenfigur gebraucht die heraldische Literatur den Ausdruck „Tischwange“ weitaus häufiger als den Begriff „Stuhlwange“. Beide Ausdrücke scheinen erst seit dem 19. Jahrhundert und rückdatierend zur Beschreibung von alten Wappen-/Siegelfiguren gebräuchlich, deren historische Vorbilder nicht in jedem Fall zweifelsfrei bestimmt werden konnten.
Darstellung
Maximilian Gritzner bemerkt im 19. Jahrhundert, dass es nicht ausreicht, ein Wappenmotiv nur als Tisch-/Stuhlwange zu blasonieren, ohne weitere Details der Figuren zu bezeichnen:
„Tisch- und Stuhlwangen (Tafel XXVIII. Figuren 18. bis 25.): oder Tisch- und Stuhlgestelle, das heißt die Stirnseite einer langen Tafel oder eines Stuhls, kommen in den verschiedensten Formen in Wappen vor und wird es daher nöthig sein, bei der Blasonierung diese Formen ein wenig genauer zu kennzeichnen (..)“
Stand heute (2016) kann man im Zusammenhang mit als Tisch-/Stuhlwangen interpretierten Wappenfiguren grob die nachstehend genannten Grundformen voneinander abgegrenzen. Dabei ist berücksichtigt, dass sich manchmal nicht genau feststellen läßt, wann und aus welcher Ursache sich die Ansicht geltend machte, dass ein bestimmmtes Motiv in einem Wappen mal als „Tisch-/Stuhlwange“ beschrieben wird, mal als Figur, die einem ganz anderen realen Objekt nachempfunden ist (z. B. einem Mühleisen, einer Hausmarke oder ähnlichem).
Stuhlwange
Die (gemeine) Figur Stuhlwange (auch Stuhlschragen, Stuhlgestell genannt; frz.: ceinture de chaise; engl.: chair support) ist gewöhnlich einem zusammenklappbaren, leicht transportierbaren Stuhl aus der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens nachempfunden, dessen paarweise gekreuzte Beine um einen Drehpunkt beweglich sind (auch „Klapp-/Falt-/Feld-/Reise-/Scherenstuhl“ bzw. „-thron“, „-sitz“ oder „-hocker“ genannt eventuell als „Stuhlkreuz/Stuhlschragen“ bestimmt).
„Mittelalterliche Faltstühle wurden in der Art eines X an den Seitenarmlehnen zusammengeklappt.“
Die heraldische Figur erscheint in der Regel in Frontalansicht (selten oder gar nicht in Seitenansicht, weder als „Seitenteil eines Stuhls“ oder als „obere seitlichen Lehnen eines Stuhls“[3] noch als Gestühl-/Abschluss-Zwischenwange beispielsweise eines Chor- oder Kirchengestühls, wie es der Ausdruck „Stuhlwange“ eigentlich nahelegt).
Die heraldisch-stilisierte Figur lehnt sich nicht oder nur entfernt an antike Klappstühle wie den kurulischen Stuhl und nicht an ein bestimmtes oder besonderes „Faldistorium“ (frz.: faldistorium [siège épiscopal], faldistoire; engl.: faldstool, folding stool; ital.: faldistorio) an, sondern an das Idealbild der zu Früh-/Blütezeit des Wappenwesens verbreiteten Faltstühle, welche geistlichen und weltlichen Würdenträgern als einer Art „mobiler Thron“ dienten. So erscheint in Wappen beispielsweise nicht eine detailgetreue Darstellung des aus mehreren Teilen bestehenden, prunkvoll verzierten und historisch-bedeutenden Dagobert-Throns aus dem Frühmittelalter (603-639, nach anderen Quellen zwischen 800 und 850) samt Protomen in Gestalt von Großkatzen (die Rücken-/Seitenlehnen wurden vermutlich erst im 12. Jahrhundert ergänzt); statt dessen sind in der Heraldik wesentlich einfachere Formen gebräuchlich.
Sie erscheinen überwiegend lehnlos (oder mit niedriger Rücklehne), meist ohne beziehungsweise selten mit einem Sitz aus Zeug, Leder und dergleichen oder Latten (die sich bei einem orginalen Stuhl beim Zusammenklappen zusammenlegen). Gewöhnlich wird das Wappenmotiv mit zangenförmig geschwungenen Beinen dargestellt, wobei die unter dem Drehpunkt liegenden Teile schrägrechts/-links oder halbkreisförmig nach Innen oder Außen gewendet sind, während jene, die oberhalb liegen, jeweils in zwei halben Bögen mit einem kantholzartigen Ende auslaufen, so dass der leere Raum zwischen ihnen wie ein gestürztes, dreiblättriges Kleeblatt wirkt. Der Drehpunkt wird teils gar nicht, teils als runder Durchbruch aufgerissen. Besondere Beine (zum Beispiele in Form von überkreuzten Löwenpranken, Schuppenfüßen) oder Verzierungen (Löwen-, Widder-, Menschköpfe) oder Enden mit sich zu- oder abgewandten Figuren (Vögel), sollten gemeldet werden.
ca. 1400 vor Chr.: Klapphocker
(von Guldhøj, Dänemark)[4]7. oder 9. Jhr.: Dagobert-Thron
(hier in einer Darstellung von 1893)
Tischwange
Die Figur Tischwange (auch Tischfuß[5], Tischschragen, Tischgestell, mißverständlich manchmal auch Tischwaage und Tischgericht[6] genannt; frz.: ceinture de table oder tréteaux de table; engl.: table support, table foot) ist dem Seitenteil eine Wangentisches nachempfunden und sollte stets mit einer deutlich erkennbaren Aussparung (meist viereckig, manchmal oval oder rund) aufgerissen werden (in diese wird im Original ein Verstrebungsbalken gesteckt, der die zwei Wangen eines Tisches miteinander verbindet). Im oberen Teil der Figur Tischwange erscheinen gewöhnlich zwei oder mehr (rechteckige) Vertiefungen/Nuten (sie dienen im Original der Befestigung der Tischbretter, damit diese nicht verrutschen).[7]; fehlen die Vertiefungen, sollte dies gemeldet werden („oben nutlos ausgebildet“ oder ähnlich).
1605 Marschalk von Ostheim (nach Siebmacher)
Tischsäule
Die Figur Tischsäule (auch kurz, aber mißverständlich als „Säule“ beschrieben) ist einem säulenartigen Tischfuß nachempfunden, wie er bei einem Tisch mit einer einzigen (eher runden) zusammenhängen Tischplatte im Gebrauch ist, die durch ihr Eigengewicht nicht verrutscht. Diese Figur ist durch die heraldische Stilisierung und die meist fehlende Perspektive nur sehr schwer oder gar nicht von der Figur Tischwange oder ähnlichen Figuren zu unterscheiden. Wesentliche Unterscheidungsmerkmale sind, dass bei der Figur Tischsäule die Aussparung für einen Verstrebungsbalken fehlt, die Fläche zum Auflegen der Tischplatte meist gerade und ohne Vertiefungen ist und die Figur insgesamt achsensymmetrisch erscheint. Drei Säulen oder Tischsäulen erscheinen beispielsweise im redenden Wappen derer van Zuylen und deren Nebenlinie Kersberch/Kersbergen/Carsbergen.
Zuylen-Wappen (nach dem Gelre Armorial).
Tischbock
Der Ausdruck Tischwange wird manchmal synonym zu den Begriffen Tischbock und Sägebock[8] verwendet. Streng genommen, unterscheiden sich die Wappenfiguren Tischwange (Teil eines „Wangentisches“) und Tischbock voneinander (Teil eines „Schragentisches“); letzere ist einfachen, aber robusten Böcken oder Gestellen nachempfunden (mit oder ohne waagerechten Verstrebungsbalken), auf die Tischbretter gelegt werden können. Die Figur Tischbock kann daher beispielsweise pars pro toto als einfacher, X-förmiger, in der Mitte durchbrochener Schragen erscheinen oder als Gestell zusammen mit der Figur Schragentisch (wobei in diesem Fall die X-Form aus stilistischen Gründen durch die Tischplatte verdeckt sein kann).
Mühleisen
Zuweilen wird die Figur Mühleisen mit einem Tisch-/Stuhlgestellt verwechselt.
Hausmarke
Manchmal werden Hausmarken als Tisch-/Stuhlgestelle interpretiert, obwohl sich deren Darstellungen signifikant von den oben genannten Figuren unterscheiden. Ein Satz Gritzners zu diesem Thema, indem er es jedem „anheimstellen“ will, wie er bestimmte Figuren interpretiert, ist wohl eher ironisch als ernst gemeint.
„(..) Ob Figur 22. und 24. (letzere das polnische Stammwappen Kotwic) als Tischgestell oder als Hausmarke zu blasonieren sein dürften, muss Jedem anheimgestellt werden.“
Doppeldreieck, Triangel, Fuchsfalle
Das Wappenmotiv von Kappelwindeck erscheint je nach Aufriß unterschiedlich tingiert und wird einerseits als „Tischgestell“ interpretiert, andererseits als „Fuchsfalle“ (in Rot eine schwarze Fuchsfalle)[9] In der neueren Heraldik könnte man die sehr geometrische Motiv eher als Hausmarke beschreiben: zwei mit der Spitze aufeinanderstehende Triangel („durchbrochene Dreiecke“, „Doppeldreieck“, „Sanduhr“) mit Mittelkreuzsprosse, nach der Figur mit Kugeln/Scheiben belegt.
Wappenbilderordnung
- Die Tischwange wurde zusammen mit der Stuhlwange in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Andere Erzeugnisse von Menschenhand: Haus- und Küchengeräte unter der Nr. 9046 aufgenommen.
Weblinks
Bernhard Peter: Besondere Motive: Tischfuß, Tischwange
Literatur
- Walter Leonhard: Das grosse Buch der Wappenkunst. Entwicklung, Elemente, Bildmotive, Gestaltung. Callway, München 1978, ISBN 3-8289-0768-7, S. 275 Bild 29; S. 277 Figur 5 und 27 (Genehmigte Lizenzausgabe für Weltbild Verlag GmbH: Bechtermünz, Augsburg 2000).
- Alfred A. Schmid: Faldistorium, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 6, 1973, Sp. 1219–1237
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 131
- ↑ Seite „Klappstuhl“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 17. Januar 2016, 10:33 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Klappstuhl&oldid=150327199 (Abgerufen: 20. März 2016, 14:37 UTC)
- ↑ Lemma Stuhlwange. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
- ↑ En klapstol fra bronzealderen auf Dänisches Nationalmuseum
- ↑ Eike Pies, Anton Rahrbach, Hilmann von Halem: Reichsritter in Mainfranken: zu Wappen und Geschichte fränkischer Adelsfamilien. ISBN 3879471134. 2003. S. 159
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, I. Band, 4. Abteilung, I. Teil; Städtewappen: Wappen der Städte und Märkte in Deutschland und den angränzenden Ländern; Verfasser: O. T. von Hefner, N. Gautsch, I. Clericus; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1883. Wappen Montfoort. S. 22. Tafel 41
- ↑ Vgl. im Internet (abgerufen: 20. März 2016): Bernhard Peter: Besondere Motive: Tischfuß, Tischwange
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, III. Band, 2. Abteilung, 1. Band; Der blühende Adel des Königreichs Preußen: Edelleute; Verfasser: O.T. von Hefner, A. Grenser, G.A. von Mülverstedt, Ad. M. Hildebrandt; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1878. S. 288, Tafel 341.
- ↑ Internet: Offizielle Webseite der Stadt Bühl. Bühler Stadtteil Kappelwindeck. Aufgerufen. 13.08.2016.