Schornstein (Heraldik)
Der Schornstein (von mhd. schor[n]-/schürstein, ahd. scor[en]stein ‚herausragender Stützstein, der den Rauchfang trug beziehungsweise auf dem sich der Rauchabzug erhebt‘; auch kamin-, esse-, kemet-, rouchloch-, hellevegaere; mlat. fumarius; französisch cheminée; englisch chimney) ist in der neueren Heraldik eine gemeine Figur.
Schornsteinfiguren erscheinen bevorzugt in zwei Ausprägungen in Wappen:
- Hausschornstein
(unscharf nur Schornstein genannt, bei Gebäuden in Österreich und Süddeutschland auch „der Rauchfang“, „der Kamin“, ostmitteldeutsch „die Esse“; in der Schweiz meist „das Kamin“)[1] - Fabrikschornstein oder Schlot
(unscharf nur Schornstein genannt, auch Industrieschornstein oder ähnlich; französisch cheminée d'usine; englisch factory chimney)[1]
Allgemeines
Abgrenzung
Der unscharfe Oberbegriff Schornstein (in früher Zeit in der Bedeutung „Feuerstelle, Ofen, Herd“ gebräuchlich) eignet sich nur bedingt für Wappenbeschreibungen. Er bestimmt nicht eindeutig, ob ein Haus-, ein Fabrik-/Industrie- oder eine andere Art von Schornstein gemeint ist. Nichtsdestotrotz wird er häufig in Blasonierungen verwendet. Gewöhnlich ist davon auszugehen, dass bei Familienwappen ein Hausschornstein gemeint ist, in Kommunalwappen dagegen ein Industrie-/Fabrikschornstein. Im Zweifelsfalle können neben der Blasonierung nur andere Quellen oder der Wappenführende Auskunft erteilen, welches Schornsteinmotiv in einem Wappen erscheint.
Geschichte
„Man vermutet, dass ein Ursprung des Schornsteinfegerhandwerks in Italien zu suchen ist und mit der Entwicklung des Schornsteins einherging. Als das alte Einraumhaus, in dem bis dahin der von der Feuerstelle aufsteigende Rauch in den Raum oder auf den Dachboden gestiegen war, eine Zwischendecke erhielt, brauchte man eine Vorrichtung zum Ableiten des lästigen und gesundheitsschädlichen Rauchs. Man baute Rauchfangtrichter (sog. „Essen“) über der Feuerstelle. Den damit aufgefangenen Rauch leitete die Esse in einen Schornstein (Synonym: Schlot) oder durch ein Loch in der Wand nach draußen.
In Bauernhäusern wurden Rauchschlote aus Holz und Lehm vermutlich etwa im 10. Jahrhundert allmählich üblich. Für Städte wie Trier, Köln, Straßburg, Erfurt ist der Geschossbau ab dem 12. Jahrhundert nachgewiesen. In Italien gab es nachweislich Mitte des 14. Jahrhunderts steinerne Schornsteine; in Deutschland waren sie wohl bis zum 15. Jahrhundert selten (..)“
Darstellung
Allgemein wird das Schornsteinmotiv in Wappen einerseits freistehend („schwebend“) dargestellt, andererseits manchmal mit einem Schildfuß, einem Fels oder einer anderen Standfläche (Boden, Berg oder ähnlichem) kombiniert.
Hausschornstein
Die Figur „Hausschornstein“ ist gewöhnlich nicht einem ganzen Hausschornstein nachempfunden, sondern nur jenem Teil des Hausschornsteins, der sichtbar über die Dachhaut hinausauskragt (der sogenannte „Schornsteinkopf“, auch „Essenkopf“ oder „Kaminkopf“ genannt). Beispielsweise erscheint im Wappen von Johann Heinruch Kretzer (1739-1753) „im Schildfuße der Gipfel eines Schornsteins, über diesem ein Kaminkratzer mit in mehreren Schlingen nach oben gelegter Schnur“[3].
Schornsteinkopf (Spätrenaissance, Hofrichterhaus)
Fabrikschornstein
Im Gegensatz zum Hausschornstein/-kopf erscheint ein Fabrikschornsteinfigur gewöhnlich mit Mauerwerk beziehungsweise mit Fugen, die in der Darstellung durch entsprechende Striche hervorgehoben werden. Ein monochromer Schornstein sollte gemeldet werden („Schornstein ohne Mauerwerk“); die Meldung eines gemauerten/gefugten Schornsteins kann in folgender Syntax erfolgen:
„[Farbeangabe] Fabrikschornstein, [Farbeangabe] gemauert“
„[Farbeangabe] gefugter [Farbeangabe] Fabrikschornstein“
Also zum Beispiel: „Schwarzer Fabrikschornstein, silbern gemauert“ oder „schwarzgefugter silberner Fabrikschornstein“. Außer bei einem schwarzfarbigen Fabrikschornstein ist Schwarz die „normale“ Fugenfarbe; sie kann, muss aber nicht besonders gemeldet werden; erscheint der Schornstein in Schwarz, werden die Fugen gewöhnlich in Silbern tingiert, wenn in der Wappenbeschreibung keine andere heraldische Farbe angezeigt wird.
Schwarzgefugter roter Schornstein (Wappen der Stadt Leuna)
Ziegelmauer mit drei Schornsteinen (Glöthe)
Schornstein, architektonisch gestaltet
Schornsteine, Schornsteinschäfte, besonders aber Schornsteinköpfe können Gegenstand architektonischer Gestaltung sein; wenn diese für die Darstellung einer entsprechenden Figur in einem Wappen eine wesentliche Rolle spielt, ist sie bei der Wappenbescheibung angemessen zu berücksichtigen. Ausdrucksschwache, mehrdeutige und ungewünscht lange Blasonierungen sind in solchen Fällen möglichst zu vermeiden. Eine Schornsteinfigurbeschreibung, die auf architektonische Besonderheiten eingeht, findet sich beispielsweise beim Wappen von Schackensleben (wobei man darüber streiten kann, ob diese Blasonierung tatsächlich heraldischen Ansprüchen gerecht wird). Dort erscheint heraldisch rechts ein
– Regierungspräsidium Magdeburg (2003)[5] |
Schornstein als Nebenfigur oder Teil einer Hauptfigur
Schornstein bei Bauwerksfiguren
Schornsteine erscheinen gelegentlich als Nebenfigur oder als kleine Teile einer heraldischen Haus- beziehungsweise Bauwerkshauptfigur in einem Wappen. Nach Gritzner ist bei der Wappenbeschreibung stets anzugeben, ob eine Gebäudefigur Schornsteine und wieviele sie besitzt.[6] Im Sinne der Eindeutigkeit einer Wappengebäudefigur erscheint dies auch dann zweckmäßig, wenn der oder die Schornsteine bei einer extremen Verkleinerung eines Wappen oder „auf 200 Schritt“ nicht mehr erkennbar sein sollten.
Fachwerkhaus mit rechts aufgesetztem Schornstein (Hausen am Albis)
Gebäude mit zwei Schornsteinen (und mit goldenem Glasofen in der Gebäudemitte; Pěnčín u Jablonce nad Nisou)
Schlote bei einer Fabrik-/Gebäudeanlagenfigur
Etwa seit der zweiten industrielle Revolution erscheinen besonders in Stadt- und Ortswappen, in denen auf kommunale Industrie verwiesen wird, (rauchende) Schlote als Nebenfiguren beziehungsweise als Teile einer mehr oder minder komplexen Fabrik-/Gebäudeanlagenfigur oder einer entsprechenden, heraldisch stilisierten „Industriesilhouette“. Bei der Blasonierung sind diese Figuren präzise zu beschreiben, so dass alle Wappenkünstler heraldisch vergleichbare Wappenaufrisse für ein und dasselbe Wappen erzielen können. Die genauen Formen, Erscheinungen und Varianten der Schlot-/Fabrik-/Industrierfiguren sind trotz einiger Ansätze in der heraldischen Literatur nicht allgemeingültig, systematisch, konsistent und erschöpfend bestimmt. Im Wappenschild sind sie stets im Aufriss (zweidimensional) und nicht (oder nur sehr gering) perspektivisch darzustellen; konkrete und perspektivsche Darstellungen gelten als unheraldisch.[7]
Fabrikanlage mit fünf Schloten (symbolisch für „moderne Industriestadt“ Neumünster)[8]
Vierschiffiges Fabrikgebäude, überragt von einem Wasserturm und drei rauchenden Schlöten (Hirtenberg)
1950-1990: Vier rauchende Schlote stehen (symbolisch für ehemaliges Kohlestahlwerk; Brandenburg an der Havel)
Dampflokomotivenschornstein
Die Figuren Dampflokomotive und Dampflokomotivenschornstein gelten in der klassischen Wappenkunde als unheraldisch, weil sie einen Wappen-Anachronismus darstellen. Dennoch erscheinen sie zuweilen in der neueren Heraldik (zum Beispiel in Wappen zeitgenössischer Organisationen und Personen oder in Gemeindewappen). Die Schornsteine einer Dampflokomotivenfigur sind teilweise trichter- bis kegelförmig gestaltet; ihre Anzahl ist stets zu melden.
Dampflokomotive mit einem Schornstein (erster Personenzug der Welt, 1825, im Wappen Darlington)
Lokomotive einer Zahnradbahn mit drei Schornsteinen (Baranawitschy)
Schiffsschornstein
Die Figur Schiffschornstein (englisch funnel) gilt in der klassischen Wappenkunde als unheraldisch, weil sie einen Wappen-Anachronismus darstellt. Dennoch erscheint sie zuweilen in der neueren Heraldik (zum Beispiel in Gemeindewappen). Gewöhnlich sind Schiffsschornsteine Teil einer Dampfbootfigur oder einer neueren Schiffsfigur. Sie können trichter- bis kegelförmig gestaltet sein; ihre Anzahl ist stets zu melden.
Raddampfer mit rauchendem Schornstein (Barra Bonita)
Kühlturm als Schornstein
In der neueren Heraldik erscheinen auch Kühlturmfiguren, die den gleichnamigen Anlagen nachempfunden sind (→ Kühlturm/Rückkühlwerk). Letztere emittieren in der Realität überschüssige oder technisch nicht mehr nutzbare Wärme aus Kraftwerks- oder Industrieprozessen und werden teilweise zusätzlich als Schornstein genutzt. Im Gegensatz zur Darstellung von Rauch, der, falls im Wappen erscheinend, stets blasoniert wird, wird in der Wappenbeschreibung die mögliche Nutzung von Kühltürmen als Schornstein nicht besonders hervorgehoben. Beispielsweise ist die Kühlturmfigur im Wappen Greppin ledglich bestimmt als: „schwarzer Kühlturm mit schwarzem Rauch“.[9]
In Feld 4: Kühlturm (Wappen Diesen)
Schornstein als Armatur
In brasilianischen Wappen erscheinen rechts und links neben dem Schild manchmal zwei rauchende Schlote als Armatur (vgl. Itabirito, Bataguassu, Ceará-Mirim).
Wappenbilderordnung
- Die Figur Schornstein wurde zusammen mit der Figur Fabrikschornstein in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Andere Erzeugnisse von Menschenhand: Haus- und Küchengeräte unter der Nr. 9007 aufgenommen.
Symbolik
Die Figur (Fabrik-)Schornstein symbolisiert in Wappen in einem weitem Sinn die Industrialisierung, Kohlestahl- oder andere besondere Industriewerke einer Region, einer Stadt oder eines Staates. Bevorzugt in Schwellenländern und in Ländern, die in der Vergangenheit oder in der Gegenwart sozialistisch bzw. kommunistisch geprägt waren oder sind (vgl. „Arbeiterstaaten“) finden sich Hoheitszeichen mit Schornsteinfiguren als identitätsstiftendes Merkmal oder als Mittel zur Ideologieverbreitung. Manchmal werden historisch gewachsene, schornsteinlose Wappen durch Wappen mit Schornsteinfigur als Kennzeichen „entwickelter Industrie“, „Wohlsstands“, „Wachstums“ etc. ersetzt, um nach der Veränderung der Verhältnisse wieder aus einem Wappen entfernt zu werden. Beispielsweise erscheinen im Wappen der Stadt Brandenburg an der Havel Schornsteine nur in der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik zwischen 1950 und 1990, gehören aber weder davor noch danach zum Gesamtwappenbild.
Außerhalb der Heraldik deutet das Schornsteinmotiv oft einen tieferen Sinn an und/oder geht mit besonderen Konnotation einher. Dazu zählen nach Waltraud Claus zum Beispiel:
„Viele magische Vorstellungen des Volkglaubens knüpften sich an den Schornstein: So hilft zum Beispiel der Blick in den Schornstein, die Zukunft zu deuten. Oder man soll beim Betreten eines fremden Hauses zuerst in einen Schornstein sehen, dann kann einem niemand etwas anhaben. Die Kommunikation mit Geistern und Dämonen geschieht im Märchen und in abergläubischen Vorstellungen oft durch den Schornstein, vor allem Hexen fahren durch ihn ein und aus. Die Geister Verstorbener verlassen durch ihn das Haus. Sankt Nikolaus, der durch den Schornstein herabkommt, symbolisiert Gaben, die direkt vom Himmel auf die Erde gebracht werden. Ein Rauchabzugskanal beziehungsweise jede andere Öffnung im Dach eines Tempels oder Zeltes stellt den Durchgang für das Entweichen in den Himmel dar, das Entkommen aus dem Zeitlichen in das Ewige.
Die Redewendung „Etwas in den Schornstein (Kamin) hängen“ bezieht sich darauf, dass man etwas verloren geben oder aufgeben muss, so wie den in nichts vergehenden Rauch. Wenn „der Schornstein raucht“, gehen die Geschäfte gut und es wird Geld verdient. Der Schornstein dient also dem Austausch mit der Umwelt, dem Abführen von Verbrauchtem und dem Einführen von Frischem, vergleichbar mit der Nase beziehungsweise den oberen Atemwegen (..)“
Siehe auch
Weblinks
- Commons: Schornsteine in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 „Dritte Runde – Schornstein / Kamin“, Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA), Phil.-Hist. Fakultät, Universität Augsburg, 19. Juni 2006
- ↑ Seite „Schornsteinfeger“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 9. November 2017, 15:32 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schornsteinfeger&oldid=170826654 (Abgerufen: 14. November 2017, 10:27 UTC)
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, V. Band, 12. Abteilung; Neun Hundert Vier bürgerliche Wappen; Verfasser: G.A. Seyler, O. Roick; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1925. Seite 3. Tafel 5.
- ↑ „In Blau auf goldenem Schildfuß ein schwarz gefugter silberner Schornstein zwischen vorn einem goldenen Erlenzweig mit je drei Blättern und Blüten und hinten zwei goldenen Ähren mit Halmblättern, der Schildfuß belegt mit einem schwarzen Bergmannsgezähe.“ -- Amtsblatt des Landkreis Nr.21/2009 Urkunde
- ↑ Das Wappen der Gemeinde Schackensleben, Dokumentation zum Genehmigungsverfahren. Hinterlegt beim Innenministerium Sachsen-Anhalt. 2 Oktober 2003 (Gutachten: Landeshauptarchiv Magdeburg)
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 114
- ↑ Herold, Verein für Heraldik (Hrsg.): Wappen. Handbuch der Heraldik. Als „Wappenfibel“ begründet von Adolf Matthias Hildebrandt, zuletzt weitergeführt von Jürgen Arndt, bearbeitet von Ludwig Biewer und Eckart Henning. Aktualisierte und neugestaltete Auflage. 20. Auflage. Böhlau Verlag GmbH & Cie., Köln, Weimar, Wien 2017, ISBN 978-3-412-50372-7, S. 159 (deutsch: Wappenfibel.).
- ↑ Kommunale Wappenrolle Schleswig-Holstein
- ↑ Greppin: „In Silber ein schwarzer Kühlturm mit schwarzem Rauch, begleitet von drei roten Seeblättern.“ (Hauptsatzung § 2 Abs.1 (Memento vom 29. September 2007 im Internet Archive))
- ↑ Wappen der Stadt, abgerufen am 3. Juni 2011
- ↑ Waltraud Claus: Schornstein. In: opus magnum: Symbollexikon. 17. November 2011, abgerufen am 18. November 2017.