Geweihmann
Ein Geweihmann (auch Mann mit Geweih, Mann mit Hirschgeweih, gestängter Mann, Mann mit (Hirsch-)Stangen oder ähnlich genannt; engl.: man with an attire[s]) ist in der Heraldik eine seltene gemeine Figur.
Begriffsgeschichte
Der Ausdruck „Geweihmann“ wird im Heraldik-Wiki aus systematischen Gründen in Analogie zum Terminus Geweihfisch verwendet; in der älteren Heraldik ist er nicht gebräuchlich. Grundsätzlich sind längere, dafür genauere Bezeichnungen für die Figur in Wappenbeschreibungen zu empfehlen (zum Beispiel: „Mann mit Hirschgeweih“, „gestängter Mann“ oder ähnlich).
Fragwürdige Aktaion-Deutung
In der Wappenbilderordnung des Herold wird eine Mannfigur mit Hirschgeweih am Kopf ohne Referenzwappen unangemessen und mißverständlich als „Aktäon“ bezeichnet.[1] Damit wird ein Zusammenhang der Wappenfigur mit dem gleichnamigen Heros der griechischen Mythologie (Aktaion, altgriechisch Ἀκτέων oder Ἀκταίων, lateinisch Actaeon; französisch actéon) suggeriert, den die Göttin Diana in einen Hirsch verwandelt hat. Es ist zwar denkbar, dass bei einer Wappenstiftung auf diesen Zusammenhang symbolisch angespielt wurde; es fehlen aber entsprechende Beweise und Wappen, die so einen Bezug belegen. Ohne entsprechende Quellenbelege könnte man die Figur genauso unangemessen und mißverständlich beispielsweise auch Cernunnos („der Gehörnte“) nennen und damit andeuten, dass die Figur dem keltischen Gott mit Hirschgeweih nachempfunden ist. Solche Ausdrücke sollten bei der Beschreibung einer Wappenfigur nicht oder nur in Klammern verwendet werden; sie sind passender in der Symbolbeschreibung eines Wappens aufgehoben. Abbildungen von menschenartigen Wesen mit Hirschgeweihen lassen sich im Übrigen bis ins Jungpaläolithikum nachweisen; solche vorheraldischen Figuren sind aber nicht Gegenstand der Früh- und Blütezeit des Wappenwesens, sondern im besten Fall unheraldische Erfindungen der Verfallszeit oder der neueren Heraldik.
Tanzender Schamane („dieu cornu“; „gehörnter Gott“;[2][3] Höhlenmalerei in der Drei-Brüder-Höhle)
Darstellung
Der Geweihmann ist im Wappenwesen ein humanoide Fabelfigur beziehungsweise eine Menschenfigur männlichen Geschlechts mit einem Geweih auf einem Menschenkopf. Gewöhnlich erscheint sie mit einem Hirschgeweih, bestehend aus zwei Stangen (mehr oder weniger Hirschstangen sollten angezeigt werden). Ein anderes Geweih oder ein Gehörn (Elchgeweih, Rentiergeweih, Steinbockshörner oder ähnliches) sind zu melden. Da die Figur selten ist, gibt es keine expliziten heraldischen Vorgaben für sie (außer jene, die für eine Mannfigur allgemein gelten). Die Farbgebung des Motivs, die Körperstellung und so weiter erfolgen nach den heraldischen Regeln. Das Geweih ist als Bewehrung zu werten und kann anders als der Rest der Figur gefärbt sein.
Andere Position des Hirschgeweihs
Wird ein Hirschgeweih nicht auf dem Kopf einer Männerfigur dargestellt, sondern an einer anderen Position, so ist diese Besonderheit anzuzeigen. Beispielsweise erscheint im Wappen des bürgerlichen Geschlechts Waldheim bzw. der Elisabeth Waldheim († 1499) ein „aus schwarzem Hirschgeweih wachsender, nach Rechts blickender schwarzer Mohrenkopf“[4].
Geweihfrau
Eine Geweihfrau (auch Frau mit Geweih, Frau mit Hirschgeweih, gestängte Frau, Frau mit (Hirsch-)Stangen oder ähnlich genannt; engl.: women with an attire(s)) ist in der Heraldik eine seltene gemeine Figur. Die Figur erscheint beispielsweise im Wappen der renobilitierten Familie von Rentzel (in Anlehnung an die männliche Wappenfigur derer von Rentzel oder als Derivat des Wappens Rentzel I.).
Hirschkopfmann und Hirschmann
Die Figur Geweihmann sollte nicht mit den Figuren Hirschkopfmann oder Hirschmann (Hirschmensch) verwechselt werden. Letztere sind nicht humanoide Figuren, deren einzige Besonderheit ein Hirschgeweih ist, sondern Chimären aus einer Mensch- und einer Hirschfigur, wobei zu unterscheiden ist:
- Hirschkopfmann: eine Chimäre, die sich aus einem Hirschkopf und einem humanoiden Körper zusammensetzt.
- Hirschmann: eine Chimäre, die aus dem vorderen Teil eines Hirsches mit (oder ohne, was zu melden ist) zwei Hirschläufen und einem humanoiden Körper besteht.
Die Figur im Oberwappen der Familie Schmidmair ist demnach als „Mann mit Hirschkopf“ oder als „Hirschkopfmann“ zu blasonieren (und nicht als „Hirschmann“, „Geweihmann“, „Mann mit Hirschgeweih“ oder ähnliches).
Abgrenzung
Im Wappenwesen erscheinen humanoide Figuren nicht nur mit Hirschgeweih, sondern auch auch mit Hörnern (beispielsweise zeigt das historischen Wappen von Ertlingen im Visier einen Mannsrumpf mit schwarzen Steinbockhörnern). „Gehörnte Figuren“ sind grundsätzlich von „gestängten“ abzugrenzen.
Siehe auch
Wappenbilderordnung
- Die gemeine Figur Aktäon, Mann mit Hirschgeweih wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Fabelwesen: Zusammensetzungen aus Tieren und Menschen mit Tierköpfen und anderen Teilen von Tieren unter der Nr. 6807 aufgenommen.
Einzelnachweise
- ↑ Jürgen Arndt und Werner Seeger (Bearbeiter) mit Wappenskizzen von Lothar Müller-Westphal: Wappenbilderordnung. Symbolorum armorialium ordo. Zit.: WBO - Wappenbilder. Hrsg.: Herold, Verein für Heraldik Genealogie und verwandte Wissenschaften (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch. B). 2., ergänzte und berichtigte Auflage. Band I. Bauer & Raspe, Inh. Manfred Dreiss, Neustadt an der Aisch 1996, ISBN 3-87947-110-X, S. 164, 165 (447 S., zugleich Neubearbeitung des Handbuchs der heraldischen Terminologie von Maximilian Gritzner; Einleitungsband, Abt. B des Neuen Siebmacherschen Wappenbuches, Nürnberg, 1890).
- ↑ Nach den Theorien von Henri Bégouën und Henri Breuil, die die Ersten waren, die die Höhle studierten.
- ↑ Siehe: Photo des Gehörnten Gottes
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, V. Band, 10. Abteilung; Vierzehnhundert und Siebenzig bürgerliche Wappen; Verfasser: G.A. Seyler; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1916. Seite: 87. Tafel 97