Justitia (Heraldik)
Justitia/Themis | |
in der Heraldik (Wappen Fürstenwerder ![]() | |
Die Göttinnen und Personifikationen der Gerechtigkeit
- Justitia
(lateinisch iustitia ‚Gerechtigkeit, Recht, Rechtmäßigkeit‘; französisch justice; englisch [lady] justice, iustitia)
- Themis
(altgriechisch Θέμις Thémis; nach einigen von griechisch θέω ‚ich setze, verordne‘, nach anderen von phönizisch them, ‚aufrichtig, redlich, Aufrichtigkeit, Redlichkeit‘; französisch thémis; englisch themis)[1]
sind in der Heraldik seltene gemeine Figuren, die in der heraldischen Darstellung und in der heraldischen Literatur gewöhnlich nicht voneinander unterschieden werden.
Heraldischer Sprachgebrauch
In Wappenbeschreibungen (Blasonierungen) werden die Justitia- bzw. Themisfiguren einerseits unter dem Eigennamen der Göttinnen bestimmt, andererseits unter mehr oder weniger umfangreichen Formulierungen wie „Göttin der Gerechtigkeit“, „Frau, in der Rechten ein Schwert, in der Linken eine Waage haltend“ und anderes mehr.
Verwandte Personifikationen der Gerechtigkeit wie beispielweise die Hore Dike (altgriechisch Δίκη Díkē, deutsch ‚die [eher strafende, rächende] Gerechtigkeit‘ und Dikaiosyne
(Δικαιοσύνη Dikaiosýnē, deutsch ‚Gerechtigkeit, Gesetzmäßigkeit‘) aus der griechischen Mythologie sowie die römische Aequitas
(die ‚Billigkeit‘
bzw. Personifikation von Gleichheit, Gleichmaß, Gelassenheit, Gleichmut) werden im Wappenbeschreibungen gewöhnlich nicht als gemeine Figuren angesprochen (oder nur ausnahmsweise).
Geschichte

Wann zum ersten Mal Justitia/Themis als gemeine Figur in einem authentischen Wappen erscheint, ist Stand 2022 unklar beziehungsweise nicht vollständig erforscht.
In der Früh-/Blütezeit des Wappenwesens (etwa 12. bis Mitte des 15. Jahrhundert) sind Wappenfiguren, die eigens zur Darstellung von „Gerechtigkeit“ verwendet werden und sich ausdrücklich an antike Vorbilder wie Themis, Dike, Justitia, Aequitas etc. anlehnen, nicht gebräuchlich. Etwa seit dem 15./16. Jahrhundert gibt es Wechselwirkungen zwischen den Darstellungen im Wappenwesen und jenen in der bildenden Kunst. Einerseits kombinieren ausgewiesene Wappenkünstler wie Albrecht Dürer († 1528), Hans Burgkmaier († 1531) und andere in ihrem Werk das Bildnis der allegorischen Kardinaltugend Justitia mit Darstellungen von Wappen. Beispielsweise zeigt der Holzschnitt Sancta Iusticia von Albrecht Dürer aus dem Jahre 1521 das Reichswappen der Habsburger und die beiden Nürnberger Stadtwappen, umgeben von vier Engeln, wobei die oberen beiden als Allegorien auf die „Fülle“ und auf die „Gerechtigkeit“ (Justitia) ausgearbeitet sind. Andererseits werden in Wappen-/Stammbüchern etwa zu dieser Zeit nicht nur Wappen und Geschlechterfolgen thematisiert, sondern auch allegorische Bilder, darunter die Justitia. Beispielsweise erscheint eine Justitia in dem Wappen-/Stammbuch des Jost Amman († 1591).
Ein ungewöhnliches Beispiel für den Übergang von einer einfachen Wappenfigur (frontale schwebende Jungfrau mit offenem Haar und weitem Kleid, die Füße nicht sichtbar, in der Rechten ein Schwert und in der Linken eine Kaufmannswaage haltend)[2] – zu einer eher allegorischen „Justitiafigur“ findet sich auf einem Epitaph aus dem Jahre 1590 mit dem Wappen des Schultheiß Johann Orth (Standort: Friedhofshalle von Marktbreit). Die offenkundigen Justitia-Attribute (Waage, Schwert) sind mit Sicherheit eine biographische Referenz und stehen wohl für das Schulzenamt, welches Johann Orth innehatte; doch die „kindliche“ Darstellungsweise der Figur widerspricht offensichtlich dem Bild einer unparteilichlichen, abwägenden, mit Härte Recht sprechenden „Göttin der Gerechtigkeit“.
„Das Schildbild ähnelt mit den Attributen einer Justitia, unterscheidet sich von jener (zumindest in üblicher Darstellungsweise) aber durch die fehlende Augenbinde und das wilde, ungezähmte Haar und die kindlichen Proportionen. Die heraldischen Tinkturen sind nicht bekannt.“
Darstellung
Die Darstellung der Wappenfigur Justitia/Themis gleicht -- heraldisch stilisiert -- entsprechenden Abbildungen aus der bildenden Kunst der Antike, des Mittelalters oder der Neuzeit. Sie erscheint gewöhnlich als Idealbild einer vornehmen, jugendlichen Frau, mit langem, wallendem (oder aufgestecktem) Haar und mit einem langen Gewand der antiken bis mittelalterlichen Mode (beispielsweise wird sie mit einem langen dorischen Chiton
, einem Peplos
beziehungsweise ein Himation
oder ähnlichem dargestellt, im Gegensatz zur Fortuna-/Tychefigur aber nur ausnahmsweise nackt oder halbnackt wie im Wappen von Groede
).
- Justitia-Darstellungen (außerhalb oder am Rande der Heraldik)
1630: Stifterscheibe mit Justitia (Wappen von Daniel Lerber
)
Attribute der Justitia
Im Wappenwesen wird Justitia/Themis einerseits mit signifikanten Gerechtigkeitsattributen dargestellt, wie sie seit der Antike überliefert sind und wodurch die Gestalt für Kenner der allegorischen Ikonografie unmittelbar als Abbild der Gerechtigkeit erkennbar ist:
mit dem (Richt-)Schwert, mit dem darauf verwiesen wird, dass gerechte Urteile mit der nötigen Härte durchgesetzt werden. | |
mit der Waage, mit der darauf verwiesen wird, dass gerechte Urteile jedem das Seine zumessen. | |
Im Normalfall hält die Justitiafigur das Schwert in der Rechten, die Waage in der Linken; ein Schwert in der linken beziehungsweise eine Waage in der rechten Hand sollten gemeldet werden. Es empfiehlt sich, die Schwerthaltung (aufrecht, gesenkt, geschwungen) in der Wappenbeschreibung anzugeben, in der Praxis wird dies jedoch oft vernachlässigt. | |
Andererseits spielen Gerechtigkeitsattribute wie das Füllhorn, mit dem darauf verwiesen wird, dass gerechte Urteile Reichtum gleich verteilen, bei der heraldischen Darstellung keine Rolle (das Füllhorn ist im Wappenwesen, wenn überhaupt, eher ein Attribut der Fortuna-/Tychefigur). | |
Die Augenbinde, mit der darauf verwiesen wird, dass gerechte Urteile ohne Ansehen der Person zu fällen sind, wird erst Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts zum Attribut der Justitia/Themis.
– Siebmacher/Gritzner (1889)[6]
– Gert Oswald (1984)[7] Um immer gleiche Wappenaufrisse sicherzustellen, ist es jedoch von Vorteil, in der Wappenbeschreiung ausdrücklich vorzugeben, ob die Justitia/Themisfigur eines Wappens mit oder ohne Augenbinde erscheinen soll. |
Grundformen
Folgende Grundformen (Auswahl) einer zeitgenössisch bekleideten Fortuna/Themis sind beliebt, wobei einzelne Merkmale in mehreren Grundformen erscheinen:
Justitia, sitzend/thronend
Obwohl Justitia in der Bildenden Kunst viele Male sitzend oder thronend dargestellt wird, erscheint sie in dieser Form nur selten als Wappenfigur.
in der bildenden Kunst | in der Heraldik |
Justitia, stehend
in der bildenden Kunst | in der Heraldik |
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Justitia, wachsend
In manchen Wappen erscheint die Justitiafigur als oberhalbe Frau („Brustbild“) beziehungsweise wachsend (zum Beispiel aus dem unteren Schild-/Feldrand oder ähnliches).
in der bildenden Kunst | in der Heraldik |
![]() 1537: Aus dem unteren Bildrand wachsend: ‚Gerechtigkeit‘ als nackte Frau mit Schwert und Waage (nach Lucas Cranach d. Ä. ![]() |
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Justitia, ein Opfer darbringend
Im Wappen von Wappen von St. Vincent und den Grenadinen erscheint die Justitiafigur ohne die zugehörigen Gerechtigkeistattribute als einfache Frau, die ein Opfer darbringt. In diesem Fall ist die Wappenfigur für den Wappenbetrachter nur durch den Wahlspruch des Wappens („Pax et justitia“
, deutsch: ‚Frieden und Gerechtigkeit‘
) klar umrissen.
(Justitia im Wappen von St. Vincent und den Grenadinen)
Justitia als Nebenfigur
Eine Justitia-/Themisfigur erscheint in Wappen zuweilen als Nebenfigur oder als nur eine Wappenfigur neben vielen anderen (insbesondere bei Wappenschilden mit mehreren Feldern/Plätzen). Beispielsweise erscheint im gespalten und halbgeteilten Schild von Anton Hye von Gluneck vorne eine Themis auf einer schwebenden Erdkugel, daneben links oben ein Kleeblatt und links unten ein Hahn (bei einer geteilen und halbgespaltenen Schildvariante erscheint dagegen die Themisfigur oben, das Kleeblatt rechts und der Hahn links unten).[8]
(Presseck
)
(Landkreis Zeulenroda
1990–1994)[9]
Justitia als Schildhalterin oder Armatur
Auf Exlibris, Titelblättern, Münzen, Druckgraphiken et cetera umrahmt Justitia (‚Gerechtigkeit‘) mit anderen allegorischen Personifikationen (Weisheit, Standhaftigkeit, Mäßigung, Architektur, Geschichte) oft eines oder mehrere Wappen.
1765, heraldisch links: Justitia (Wappen Stanislaus II. August Poniatowski
)
(Mompós
)
Justitia und Wappenwandlungen
Die Justitia-Figur ist zuweilen Teil von Veränderungen eines Wappens. Es kommt vor, dass bei Erhebung in den Adelsstand die Figur beziehungsweise das bisher „geführte bürgerliche Wappen eine Veränderung erleidet, die in den allermeisten Fällen auf den Wunsch des Begnadeten selbst zuruckzuführen ist“[10]. Ein interessantes Beispiel solch einer Wandlung bietet das Wappen der Schnorr von Carolsfeld. Vor der Erhebung in den Adelsstand führte die bürgerliche Familie offensichtlich
- in Rot einen linksgewendeten, aufrechten goldenen Löwen, dessen Rechte auf dem oberen Rand eines silbernen Schildes ruht; auf dem golden-gekrönten Helm mit blau-silbernen Decken eine Justitia (teils ohne Augenbinde, teils mit blauer Augenbinde) mit silbernen Gewand und wehendem blauem Manteltuch (teils mit goldenen, teils mit blauem Gürtel), in der Rechten aufrecht ein Schwert, in der Linken eine silberne Waage mit goldenen Schalen.
Nachweisbar ist dieses Wappen in barocken Stifterporträts, die auf das Jahr 1688 vordatiert wurden.[11] Das bürgerliche Wappen wurde 1687 bei der Adelsverleihung durch Kaiser Leopold I. zu einem gevierten Wappenschild umgestaltet, wobei die Justitia aus der Helmzier in ein Herzschild übernommen wurde (je nach Aufriss teilweise wachsend, teilweise als ganze Figur dargestellt).
Von einer bürgerlichen Justitia-Figur im Helmkleinod → zu einer adligen im Herzschild (Wappen Schnorr von Carolsfeld![]() | ||||
![]() (1687: nach AT-OeStA/AVA Adel RAA 376.49) |
Justitia versus Erzengel Michael
Die mit den antiken Allegorien einher gehenden Gerechtigkeitsattribute wurden bei der Christianisierung beziehungsweise ca. zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert (oder später) sukzessive in das Siegel-/Wappenwesen übernommen - allerdings gab man sie anfangs nicht einer Justitia-Figur bei, sondern der Figur des Erzengels Michael. Durch die Stilisierungen des Siegel-/Wappenwesens erscheint die Erzengelfigur in überlieferten Artefakten und Abbildungen teilweise androgyn oder sogar weiblich. Vermutlich infolge dieses Umstands gibt es im Laufe der Jahrhunderte hier und dort Wappenaufrisse von ein und demselben Wappen, die einerseits eine Erzengelfigur zeigen, andererseits eine Justitiafigur. Beispielsweise erscheinen in den Wappenaufrissen der Städte Schlüchtern und Schopfheim
teilweise Figuren mit weiblicher Gestalt (Justitia), teilsweise aber auch mit männlicher (Erzengel Michael).
- Wappen Schlüchtern
1884: Justitia (weibliche Gestalt, mit Augenbinde, Flügeln etc.; nach L’Estocq)
- Siegel/Wappen Schopfheim
Symbolik
Eine wägende Themis (Justitia) ist nach Siebmacher ein Schulzen- und Dorfrichtersymbol im Siegel vieler kleiner Dorfgemeinden.[12]
Wappenbilderordnung
- Die Figur Justitia wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Humanoide Wesen der Mythologie unter der Nr. 7771 aufgenommen.
Weblinks

- Literatur über Justitia im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Literatur
- Walter Leonhard: Das grosse Buch der Wappenkunst. Entwicklung, Elemente, Bildmotive, Gestaltung. Callway, München 1978, ISBN 3-8289-0768-7, S. 180, Figur 6 (Genehmigte Lizenzausgabe für Weltbild Verlag GmbH: Bechtermünz, Augsburg 2000; nur Musterwappen, keine Beschreibung).
Einzelnachweise
- ↑ Stichwort „THEMIS“: Gründliches mythologisches Lexikon von Benjamin Hederich (1770), digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, www.woerterbuchnetz.de/Hederich?lemid=T00171. Abgerufen am 14.12.2021.
- ↑ 2,0 2,1
Bernhard Peter: Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2921 Marktbreit (Landkreis Kitzingen, Unterfranken). Erstellt: 04/2022. Abgerufen: 23. Mai 2022.
- ↑ Marion Kintzinger: Chronos und Historia. Studien zur Titelblattikonographie historiographischer Werke vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Wolfenbütteler Forschungen. Band 60. Wiesbaden 1995. S. 180 f.
- ↑ Otto Rudolf Kissel
: Die Justitia. Reflexionen über ein Symbol und seine Darstellung in der Bildenden Kunst. München, 1984. S. 84 f.
- ↑ Ernst von Moeller: Die Augenbinde der Justitia. In: Zeitschrift für christliche Kunst 18. 1905. S. 107-122
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889/1890. S. 149. Reprint on Demand. Universtitäts- und Landesbibliothek Tirol. 2009. ISBN 3-226-00671-1.
- ↑ Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Bibliographisches Institut, Mannheim, Wien, Zürich 1984, ISBN 3-411-02149-7, S. 218 (Digitalisat [abgerufen am 29. Februar 2020]).
- ↑ Vgl.: Österreichisches Staatsarchiv, AT-OeStA/AVA Adel HAA AR 397.38, wo drei unterschiedliche Wappenaufrisse verwahrt sind.
- ↑ Wappenbeschreibung Zeulenroda: Das Wappen ist geviert und zeigt oben vorn in Schwarz einen rot bekrönten und bewehrten goldenen Löwen, oben hinten in Rot eine Figur der Themis mit Schwert und Waage; im rechten unteren Feld in Blau drei silberne Wellenbalken; das linke untere Feld ist neunmal von Schwarz und Gold geteilt, belegt mit einem schrägrechts gebogenen grünen Rautenkranz. (genehmigt am 18. Februar 1992)
- ↑ Alexander von Dachenhausen: Eine Wappen-Wandlung. In: Der Wappensammler. 1. Jahrgang Nr. 8. Kahla, 1901. S. 113-115.
- ↑ Zu den Bildnissen von Veit Hans & Susanna Schnorr von Carolsfeld. In: Schneeberger Bote. Jahrgang 2021. Ausgabe 1. Heft 5. S. 1
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, I. Band, 4. Abteilung, II. Teil; Städtewappen: Wappen der Städte und Märkte in Deutschland und den angränzenden Ländern; Verfasser: O.T. von Hefner, N. Gautsch, I. Clericus; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1883. S. 301